Originaltitel: 3 COEURS

F 2014, 106 min
FSK 6
Verleih: Wild Bunch

Genre: Drama

Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Benoît Poelvoorde, Chiara Mastroianni, Catherine Deneuve

Regie: Benoît Jacquot

Kinostart: 19.03.15

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3 Herzen

Anbetung des Kairos

Der verpaßte Zug hat als Sinnbild für die Störanfälligkeit von Lebensplänen Kinokarriere gemacht. Er brachte Geschichten vom Fleck, gelegentlich so diskret, daß der Fahrtwind kaum zu spüren war. Auf Benoît Jacquots neuestes Werk trifft das in besonderer Weise zu. Denn seine Verbeugung vor den großen Liebestragödien der Filmgeschichte ist nicht nur ein stilles Unterfangen bei angehaltenem Atem und stehengebliebener Uhr, sondern auch ein perfides Gedankenspiel: Was, wenn es für jeden Zug immer schon zu spät wäre?

Doch daran denkt Marc in dieser Nacht nicht. Der Zug nach Paris ist weg, im Provinzbahnhof gehen die Lichter aus, und seine Steuerbehörde wird wohl noch eine Weile ohne ihren Mitarbeiter auskommen müssen. Auf der Suche nach einem Hotel läuft ihm eine Frau über den Weg, die lieber schweigt als redet und mit ihm das schlafende Städtchen durchstreift. Ganz ohne Kuß, aber seltsam vertraut. Als sie ein Treffen im Jardin des Tuileries vereinbaren, haben sie weder Namen noch Telefonnummern getauscht. Die Frau wird vergeblich warten, und Marc wird die verpaßte Gelegenheit vergessen. Denn als ihn eine Steuerangelegenheit erneut in das Provinznest führt, lernt er Sophie kennen und lieben. Zur Hochzeit reist dann endlich auch die Schwester der Braut aus Amerika an. Was genau sie dorthin verschlug? Richtig, eine verspazierte Nacht mit einem namenlosen Fremden aus Paris und eine geplatzte Verabredung.

Hin und wieder führen auch Irrtümer zum Ziel. Lassen wir Benoît Jacquot, dem der Ruf eines Frauenregisseurs anhängt, also in dem Glauben, endlich einmal von einem Mann zu erzählen. Die heillosen Katastrophen, das „Je ne sais quoi“, mit dem uns das französische Kino an Feiertagen verwöhnt, bleiben allerdings auch hier Frauensache. Eine somnambule Gainsbourg, eine zerbrechliche Mastroianni und eine damenhaft gefaßte Deneuve halten den Strudel in Bewegung, der einen in die melodramatischen Abgründe dieser schmerzhaft verdrehten Lieben zieht.

Manchmal meint man, sich noch festhalten zu können: an der strengen dramaturgischen Konstruktion, an komischen Details, an der Thriller-Atmosphäre, die als schriller Akkord auf der Tonspur eine Lösung verspricht, an brachialen Zeichen der Heutigkeit wie dem Laptop oder dem billigen Feuerzeug, mit denen Jacquot seinen archaischen Liebesunfallfilm in der Gegenwart verortet. Doch wieder zu spät.

[ Sylvia Görke ]