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Alles gut

Ankommen in der Fremde

„Warum?“, fragt Adel ratlos ins Telefon und wischt sich eine Träne aus dem Auge. Die 20. Absage. Seit sechs Monaten sucht der 43jährige Syrer eine Wohnung für sich, seine Frau und seine vier Kinder in Hamburg. Doch bisher vergeblich. „Ich weiß nicht, warum sie uns nicht wollen“, sagt er und schaut nachdenklich aus dem Fenster seiner Containerunterkunft.

Es ist das Thema unserer Zeit: die Flüchtlingswelle in Europa. Überfüllte Boote, die an den Mittelmeerstränden ankommen, oder unmenschliche Zustände in den Flüchtlingscamps am Rande Europas – seit über zwei Jahren dominieren diese Bilder unsere Nachrichten. Nichts scheint uns näher als das Schicksal derer, die dort, wo sie eigentlich zu Hause sind, nicht bleiben können. Aber was bedeutet es wirklich, in der Fremde anzukommen?

Die Dokumentarfilmerin Pia Lenz hat zwei Familien über Monate begleitet und erzählt ihre Geschichten vor allem durch die Augen der Kinder. Sie, die nicht entscheiden konnten, sind die eigentlich Leidtragenden, weil sie nicht nur ihrer Heimat, sondern auch ihrer Kindheit beraubt sind. Der 8jährige Roma-Junge Djaner floh mit seiner Mutter und seinem großen Bruder aus Mazedonien. Anfänglich kommt er in der Hamburger Grundschule gut zurecht. Doch mit der Zeit kippt die Stimmung. Als „aggressiv“ beschreiben ihn seine Mitschüler, er bleibt in seiner Sonderrolle stecken, bis er eines Tages gar nicht mehr zur Schule kommt.

Ghofran ist Adels einzige Tochter. Sie fühlt sich am Anfang wie eine „Taubstumme auf einer Hochzeit.“ Während die anderen muslimischen Mädchen sich schminken und sogar Fahrrad fahren, etwas, was in Syrien nur den Jungs vorbehalten ist, treibt die 11jährige mit ihrem weißen Kopftuch wie ein Korken auf dem Wasser. „Ich will mich nicht verändern“, sagt sie trotzig.

Lenz nähert sich den Kindern behutsam. Mit respektvoller Distanz begleitet sie die beiden bei ihren ersten Schritten auf dem Weg zu mehr Normalität. Doch die ist brüchig, und das Ankommen in der Fremde kostet viel Energie. Auch für Sozialarbeiter, Lehrer und Eltern von Mitschülern, die Lenz ebenfalls zu Wort kommen läßt. Es ist ein feinfühliger Einblick in eine Welt, die sich neu sortieren muß und die Fragen aufwirft, auf die es erst mal keine adäquaten Antworten gibt. „Alles gut“, sagt die mazedonische Mutter zu ihren Kindern, um ihnen die Angst vor der Abschiebung zu nehmen. Im Grunde ist nichts gut. Das zu erkennen, ist schmerzhaft. Die Sehnsucht danach aber bleibt.

D 2017, 99 min
FSK 0
Verleih: Rise And Shine

Genre: Dokumentation

Regie: Pia Lenz

Kinostart: 23.03.17

[ Claudia Euen ]