Originaltitel: DEN STYGGE STESØSTEREN

Norwegen/Polen/S/DK 2025, 105 min
Verleih: Capelight

Genre: Horror, Drama, Komödie

Darsteller: Lea Myren, Thea Sofie Loch Næss, Ane Dahl Torp

Regie: Emilie Blichfeldt

Kinostart: 05.06.25

The Ugly Stepsister

Blut ist im Schuh

Schön und häßlich: Das sind Zuschreibungen, die in den alten Märchen manchmal so leicht dahingesagt werden. Zugleich richten sie mit einem Streich über Charaktere, bestimmen über Gut und Böse, und schon sind alle Grenzen markiert. Welche verheerenden Ideale, Normen und Strukturen sich dahinter verbergen, untersucht die Regisseurin Emilie Blichfeldt in ihrem Langfilmdebüt, das direkt einen Platz unter den herausragendsten Märchen-Adaptionen überhaupt verdient. Ein Märchen für Erwachsene hat die Norwegerin gedreht, sollte man als Warnung vorab dazusagen! Sie scheut sich nicht, die Grausamkeiten und Abgründe auszuloten, die man Kindern jahrhundertelang vorgelesen hat, die aber in Verfilmungen normalerweise fein säuberlich ausgespart werden.

THE UGLY STEPSISTER erzählt die Aschenputtel-Geschichte, wie man sie unter anderem von den Brüdern Grimm kennt, neu und versucht sich an einer feministischen Lesart dieses ikonischen Stoffes. Bei Blichfeldt ist nicht Aschenputtel die Hauptfigur, sondern ihre als häßlich verschriene Stiefschwester Elvira. Gerade erst hat ihre Mutter einen neuen Mann geheiratet, da verstirbt dieser schon kurz nach den Festivitäten, die Familie steht vor einem Trümmerhaufen, auch im finanziellen Sinne. Also bleibt nur das Aufschauen zum Reichtum des Königsschlosses und des Märchenprinzen, was die jungen Frauen im Haushalt schnell in erbitterte romantische Konkurrentinnen verwandelt. Der Ball auf dem Schloß steht an, der über Glück und Unglück auf dem weiteren Lebensweg entscheiden soll. Angestachelt von ihrer ehrgeizigen Mutter, läßt Elvira jede noch so obskure Prozedur über sich ergehen, um in das Raster dessen zu passen, was die Herren der Schöpfung als sexy und begehrenswert zu erachten scheinen. Und Blichfeldt kostet die Operationen und all den Drill genüßlich aus!

THE UGLY STEPSISTER packt die Märchenvorlage mit pechschwarzem Humor und allerlei Ekel-Horror an, bei dem der Körper mit einer Bandwurmkur und allem, was der Werkzeugkasten hergibt, malträtiert wird, so daß man mitunter kaum noch hinsehen mag. Und dann fällt einem plötzlich ein, daß es in Grimms Märchen ja auch noch die berühmte Szene mit dem Fuß gibt, der nicht in den verlorenen Schuh paßt. Also will auch diese Pein in aller Drastik überstanden werden. Blichfeldts Reise in die Welt historischer Schönheits-OPs meistert dabei einen perfekten Spagat. Da regieren einerseits die pure Schadenfreude und die Lust am Exzeß, an all den Körperflüssigkeiten, rumorenden Darmgeräuschen, Schmerzensschreien und deformierten Körperteilen.

Aber da sind auch jede Menge Empathie und kluge Beobachtungsgabe gegenüber der mißlichen Lage der weiblichen Figuren erkennbar. Im Gegensatz zu dem artverwandten THE SUBSTANCE, der ebenso mit übertriebenem Schönheitskult abrechnete und dabei eine ähnliche Eskalationsspirale in Gang setzte, verharrt THE UGLY STEPSISTER nicht im Blick auf eine wohlhabende Oberschicht, sondern fügt dem Ganzen eine interessante Portion Klassenkampf hinzu. Im Ringen um Schönheit als Kapital, das nach den patriarchalen Regeln zu funktionieren hat, wird hier ein ganzes soziales Gefüge ins Visier genommen – vom Stallburschen und Bediensteten bis zu den obersten, reichen Machthabern.

In ihrer Hierarchie steigen Leute auf, und dann stürzen sie wieder umso härter auf den Boden der Tatsachen. Wer nach oben will, soll die eigene Individualität mit rabiaten Mitteln tilgen und hintanstellen. Man fürchtet sich vor dem Dasein in der Knechtschaft und davor, daß sich plötzlich niemand mehr unter einem befindet, nach dem man treten kann. Und unter all der Bösartigkeit und Gewalt, die dieser stimmungsvoll ausgestattete Kostüm- und Märchenfilm birgt, zeigt sich irgendwann doch noch ein utopisch schlagendes Herz.

THE UGLY STEPSISTER beginnt dort, nach dem Solidarischen zu suchen, wo sonst nur Mißgunst und Anpassung regieren. Was Blichfeldt damit geschaffen hat, dürfte jedenfalls schon jetzt zu den Genrefilm-Höhepunkten des Jahres gehören.

[ Janick Nolting ]