Noch keine Bewertung

Café Olympique

Vom Träumen, Lieben und von der Weisheit der Schildkröte

Eigentlich war Robert Guédiguian schon immer der Außenseiter des französischen Unterhaltungskinos, hat er doch stets um Gefälligkeitsposen einen Bogen gemacht. Spätestens seit MARIUS UND JEANNETTE pocht sein Herz für die weniger Beachteten, er erzählt rauh und trotzdem romantisch, politisch und persönlich und ist dabei einfach kantiger als seine Kollegen. Es sind die einfachen Leuten aus Marseille, von denen er erzählt, von deren Nöten, Hoffnungen und vor allem von deren Träumen. Und letzteres spielt in seinem neuesten Film eine ganz besondere Rolle, doch dazu später mehr, oder eigentlich nicht. Denn Guédiguian erlaubt sich Finten und Haken, die zu verraten schon böswillig wäre.

Wie ganz oft spielt Ariane Ascaride die Hauptrolle, diese spröde Beauté marseillaise mit dem vogelhaften Blick, der herausfordernden Nase und diesem mädchenhaften Lächeln, das Kumpanei und großes Geheimnis zu verbinden vermag. Ariane spielt Ariane, eine Frau, die ihren Geburtstag feiern möchte. Doch dann rufen Tochter, Mann und Sohn an, es tut ihnen leid, sie schaffen es nicht, sie ist doch hoffentlich nicht allein. Genau das ist sie aber, der Kuchen ist gebacken, die Traurigkeit wegen der Sprüche auf dem Anrufbeantworter und der aus der Ferne gesandten Blumen erschöpft sie, Ariane wird müde und schläft ein. Um sich kurz darauf auf dem Sozius eines wesentlich jüngeren, nicht ganz flirtfreien Mannes wiederzufinden, der sie zu einem Restaurant bringen wird. Was wiederum auch nur der Ausgangspunkt für weitere – derangierte bis verrückte – Bekanntschaften, Abenteuer und eine Nacht auf dem Meer sein wird ...

Man muß sich öffnen für den Einfallsreichtum Guédiguians, er pfeift nämlich auf vorhersehbare Wendungen, er mutet seiner Hauptfigur und uns durchaus etwas zu: Ariane wird in Situationen stolpern, aus welchen heraus sie sich nach Tagen sehnt, an denen man sich besser ein Bein gebrochen hätte, dem Zuschauer werden Lebenskünstler, Poeten und Tierretter mit wild pochendem Herzen und der Fähigkeit zu ganz großer Liebe vorgestellt, eine sprechende Schildkröte ist außerdem dabei. Letztlich gelingt dem Filmemacher in diesem wunderbar wilden Salon der Kunstgriffe eine diskrete Kritik an uns allen: Wir sind Teil einer schon ziemlich komischen Welt, in der Zuverlässigkeit, Zusammenhalt und Besonnenheit immer kleinere Rollen spielen. Und damit bleibt der geschätzte Guédiguian eben wieder bei seinen Leisten: Er fühlt den Puls, erzählt aus den Figuren heraus, nimmt Sehnsüchte ernst. Zur Schwelgerei taugen die Ferrat-Chansons über die rasende Zeit und das Kurzlebige der Jugend, eine passende Wahl im übrigen, hatte Ferrat zu Lebzeiten doch stets ein Herz für die einfachen Leute. Zudem gestattet sich Guédiguian eine fast kindische Freude am Spinnertsein, und man mag die Einladung zu einer Reise ins Panoptische, Theaterartige und Mythenhafte wirklich nicht ausschlagen.

Neben allem Unterhaltungswert ist es dem Film ganz ernst mit seinen Reflexionen über die Verschiebungen in der Welt, er zeigt, daß es nun schon so weit gekommen ist, daß selbst Schildkröten bedauern, wenn wir das Träumen aufgeben. CAFÉ OLYMPIQUE ist ein schöner, ein im Wortsinn sinnlicher Film geworden, und einer, der offenbart, ganz dezent natürlich, daß Robert Guédiguian ein Filmemacher mit offenem Visier ist: Wie anmutig er Ariane Ascaride im Blümchenkleid und hohen Pumps herumeilen läßt, wie anrührend er ihre Tränen zeigt, und wie direkt er ihr ins stolze, alterslose Gesicht schaut, das zeigt einfach, wie verliebt der Filmemacher noch immer in seine Ehefrau ist. Ja, genau!

Originaltitel: AU FIL D’ARIANE

F 2014, 92 min
FSK 6
Verleih: Schwarzweiß

Genre: Komödie, Poesie, Schräg

Darsteller: Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin, Anais Demoustier

Regie: Robert Guédiguian

Kinostart: 25.12.14

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.