Originaltitel: WALKING ON WATER

I/USA/D/Vereinigte Arabische Emirate 2018, 105 min
FSK 0
Verleih: Alamode

Genre: Dokumentation

Regie: Andrey M. Paounov

Kinostart: 11.04.19

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Christo – Walking On Water

Einmal Jesus sein

Oh ja, wir leben in unsicheren Zeiten. Was jetzt keineswegs löcherige Außengrenzen und darob dringend hochzuziehende Mauern meint, sondern den Mentalzustand nicht weniger Menschen, die ihr mickerndes Licht durch lautstarkes Getöse und ausladende Geste am Funzeln halten. Purer Balsam für davon genervte Seelen, wenn Verhüllungslegende Christo den Gegenbeweis antritt, die eigenen Kunstwerke „total nutzlos“ nennt.

Damit dürfte er die öffentliche Meinung zu nicht unwesentlichem Teil widerspiegeln, oder – bitte ehrlich – konnten Sie dem verhüllten Reichstag nachhallenden Sinn abringen? Das 2016 auf dem Lago d’Iseo gestartete Projekt „Floating Piers“ verspricht mehr Gewinn: Christo läßt leuchtende Stoffbahnen anfertigen, gelb, nicht die gallig-neidische Variante, nein, sonnigfreundlich. Selbige bespannen Stege, am Ende gewährt es die Konstruktion 16 Tage lang, übers Wasser zu wandeln. Einmal quasi Jesus sein, ein Traum! Als Christo die vormals bereits doppelt wegen fehlender Genehmigung nicht umsetzbare Idee kommuniziert, macht nicht bloß Gerhard Schröder ein schlecht geschauspielertes Wow!-Gesicht.

Beim dritten Anlauf endlich die Erlaubnis bekommen, los, man schaut den Vorbereitungen zu, logistische Kraftakte allerorten, unwägbare Außenbedingungen stören, selten war ein zutreffender Wetterbericht wichtiger, und Mutter Natur haut hämisch Stolperfallen raus, Christo steht zerknirscht im Dauerregen. Sollte er, der Technikverweigerer, sie je überhaupt wahrgenommen haben, vergaß er die Kamera zu diesem Zeitpunkt längst, ein dreidimensionales Porträt entsteht, aus jedem denkbaren Betrachtungswinkel aufgenommen: Da seine Visionen en détail umsetzen wollender Sturkopf, dessen Umfeld schon mal aus „kompletten Idioten“ besteht, dort nahbarer Sozusagen-Star, geistesabwesend höflich für Selfies mit männlichen Fans posierend, möchten hübsche junge Damen welche, steigert das die Bereitwilligkeit allerdings enorm. Auf antreibende Leidenschaft fokussiert, quält ihn offensichtlich eine glamourös-oberf lächliche Party, trotzdem versichert er brav nach allen Seiten, sich an sämtliche Anwesenden zu erinnern. Kurz: ein Zwiegespaltener, Kopf in den Wolken, Füße notgedrungen auf der Erde.

Daß Christos Bodenhaftung bleibt, dafür sorgt entscheidend eine häufig das Zepter schwingende Naturgewalt namens Vladimir – grimmig-breitschultrig-vollbärtiger Mannmann (das Pendant zur fast furchteinf lößend femininen Fraufrau), facettenreich aufgestellt, parallel Berater, Bodyguard, Manager, Koordinator, Wimpernfriseur, Modepolizist, Rausschmeißer, Stimme der Vernunft. Letztere auch dazu geeignet, eine Diskussion zum monetären Wert von Kunst und zugehörigen f lexiblen Kursschwankungen anzustoßen. Und sie erhöht gegebenenfalls das Volumen; schaltet Christo oder irgendwer sonst auf gedanklichen Durchzug, donnert ein deutlich aufforderndes „Listen!“

Solche Typen braucht nicht nur das Land, viele Dokus könnten ebenso von ihnen profitieren. Liebe Regisseure, vergeßt doch irgendwann einfach diese ewig banale Lobeshymnen singenden Talking Heads! Hier ist zu erleben, wie’s richtig geht. Und obgleich in Sachen Bildgestaltung erwartungsgemäß weder Bäume aus- noch Zuschaueraugen staunend aufgerissen werden, gehört’s aus einem weiteren Grund eindeutig ins Kino. Weil Christos Ego und Hingabe, in beengendere Rahmen gepreßt, jene wohl glatt sprengen. Woraus er indes vermutlich sofort eine neue Installation zaubern würde.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...