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Der Pornograph

Die Provokateure sind müde und leise

Fellatio ist die Seele des Pornos, die letzte Bastion der Humanität, weil auch ein Gesicht dazugehört. Vielleicht rechtfertigt schon so ein Satz die Erfindung des Pornofilmers Jacques Laurent samt Îuvre. Bertrand Bonello verortet Laurents fiktive Biographie mit Daten: 1950 geboren in Lyon, über vierzig Sexfilme seit den Siebzigern, darunter "Tagebuch einer Sau", 1984 Rückzug aus dem Beruf, nach knapp zwanzig Jahren Pause und finanziellen Engpässen nun der Versuch eines Wiedereinstiegs.

Wir treffen ihn am Filmset zwischen jungen Mitarbeitern, die ihrem Publikum mit Samen und Stöhnen schnelle, ökonomische Entspannung verschaffen wollen. Laurent schaut beschämt zu Boden, weil das Kreuz weh tut, weil niemand versteht, was er mit "Abstraktion" meint, und warum er immer noch von seinem unvollendeten Lieblingsprojekt "L’Animal" (die Treibjagd auf eine nackte Frau) träumt. Denn mit Träumen und Kunstwollen hat dieses Genre schon lange nichts mehr zu tun.

Bonello zeigt seinen zerstreuten und verwirrten Helden als müde gewordenen altachtundsechziger Ex-Erotik-Guerillero, dem die Jahre die Hände in die Taschen gezwungen haben, dem das Metier den Sohn aus dem Haus trieb. Jetzt hat Joseph wieder von sich hören lassen und gewährt Bonello und seinem Vater einen Blick auf jene, die Subversion und Widerstand erneut auf die Tagesordnung setzen wollen: "Wir leben in freudlosen Zeiten. Das ist auch unsere Schuld." überschreiben Josephs Freunde ihren Aufruf zum ultimativen Protest, gehen mit gutem Beispiel voran und schweigen ihren Zorn hinaus.

Voyeure werden enttäuscht sein, hinter zwei, drei in ihrer grellen Deutlichkeit ernüchternden Szenen vom Arbeitsplatz des Pornographen eine leise Vater-Sohn-Geschichte zu finden, die sich für ruhige Bilder viel Zeit nimmt. Andere werden traurig sein, daß Bonello den Generationenkonflikt nach jeder Seite mehrfach bricht, lieber andeutet statt zu deuten, verstreut statt zu konzentrieren.

Außergewöhnlich, schamlos, unendlich klug und dicht ist sein mit Filmzitaten gesättigtes Porträt immer dann, wenn der überwältigende Jean-Pierre Léaud ganz in die Seele seiner trotz allem schamhaften Figur eintaucht und ihr seine Stimme zu Reflexionen über die Obszönität verleiht.

Originaltitel: LE PORNOGRAPHE

F 2001, 108 min
Verleih: Alamode

Genre: Drama

Darsteller: Jean-Pierre Léaud, Jérémie Rénier, Dominique Blanc

Stab:
Regie: Bertrand Bonello
Drehbuch: Bertrand Bonello

Kinostart: 27.02.03

[ Sylvia Görke ]