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Die Stille

Sensibles und einfallsreiches Filmgedicht

Khorshid ist blind. Trotzdem muß er für sich und seine Mutter Geld beschaffen, denn der Vermieter droht, sie mit all ihren Sachen vor die Tür zu setzen. Also macht sich der Junge jeden Tag auf den beschwerlichen Weg in die Stadt, um in der Werkstatt eines Instrumentenbauers beim Stimmen zu helfen. Ein Mädchen setzt ihn in den Bus, und der Fahrer wird gebeten, auf ihn zu achten. Doch das ist nicht so einfach, denn Khorshid ist umgeben von verlockenden Geräuschen. Frauen mit schönen Stimmen, Musiker, das hallende Klopfen von Werkzeugen, Gesprächsfetzen. Er kann nicht widerstehen und folgt den Klängen. Die geschäftige Welt um ihn versinkt, der wartende Meister ist vergessen.

Wie setzt man die Sicht eines Blinden visuell um? Makmalbafs Antwort ist einfach, aber wirkungsvoll: Er baut auf konsequenten Minimalismus. Mit klaren einfachen Bildern, die keiner Erklärung bedürfen, weil sie für sich selbst sprechen, führt er uns in das aufregende Universum seiner Hauptfigur. Die Rahmenhandlung ist simpel, öffnet sich aber gewissermaßen in die Tiefe. Und in der Tiefe ist Musik. Zumindest für Khorshid. So wie in Beethovens Sinfonie das Schicksal an die Pforte klopfte, ist es bei ihm der Vermieter. Makhmalbaf variiert das berühmte Motiv des großen Komponisten mit erstaunlichem Erfindungsreichtum und macht es zum Rhythmus seines Films. Dem kleinen Jungen ist es Symbol für seine schwierige soziale Lage, zugleich aber auch bewunderte und geliebte Melodie, die ihn auf seinen Irrwegen durch die wuselnde Stadt begleitet. Schließlich kommt es zu einem bittersüßen Happy End, für das allein man dieses Filmgedicht lieben muß: Khorshid steht am Ende einer der schäbigen Gassen und dirigiert ein Orchester von Kesselmachern.

Originaltitel: SOKUT

Iran/Tadjikistan/F 1999, 75 min
Verleih: Kairos

Genre: Drama, Poesie

Darsteller: Tahmineh Normatova, Nadereh Abdelajeva, Hakem Ghassem

Regie: Mohsen Makhmalbaf

Kinostart: 28.09.00

[ Sylvia Görke ]