Originaltitel: A TALE OF LOVE AND DARKNESS

Israel 2015, 98 min
FSK 12
Verleih: Koch Films

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Natalie Portman, Gilad Kahana, Amir Tessler

Regie: Natalie Portman

Kinostart: 03.11.16

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Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Sturz in den inneren Abgrund

Das Paradies hatten sie sich anders vorgestellt. Die Erdgeschoßwohnung im Jerusalemer Stadtteil Kerem Avraham ist spartanisch und dunkel, im öden Garten versuchen der Junge Amos und sein Vater vergeblich, Gemüse anzubauen. Die Sonne schafft es einfach nicht, das feuchte Stück Hinterhoferde zu erwärmen. Dieser Ort ist Lebensmittelpunkt einer jungen Familie und steht symbolisch für die politische Situation zu der Zeit. Es ist Anfang der 40er Jahre. Amos und seine Eltern Fania und Arieh, europäische Juden, flohen vor den Nazis und warten nun sehnsüchtig auf die Gründung des Staates Israel und damit auf die Erlösung von ihrem Leiden und ihrer Vergangenheit. Doch die will nicht einsetzen.

EINE GESCHICHTE VON LIEBE UND FINSTERNIS basiert auf dem gleichnamigen Roman von Amos Oz, einem der renommiertesten israelischen Schriftsteller, der erst im vergangenen Jahr auf der Leipziger Buchmesse zu Gast war. Darin erzählt er die Geschichte seiner Kindheit und vor allem die seiner Mutter Fania. „Während sich der Antisemitismus in Europa ausbreitete, träumte meine Mutter von Israel: dem Land, wo Milch und Honig fließen, wo Pioniere die Wüste zum Blühen bringen", schreibt Oz und spiegelt damit die Verklärung der Verhältnisse und die grenzenlose Hoffnung, die die jüdische Bevölkerung in die Staatsgründung steckte.

Der Film ist schon deshalb unbedingt sehenswert, weil er den offiziellen Ursprung eines historischen Konflikts bebildert, der bis heute im Brennpunkt der Weltpolitik steht. Amos, seine Eltern und tausend andere tanzen jubelnd auf der Straße, als eine Stimme im Radio das Ergebnis der UN-Abstimmung verkündet. Endlich soll es zwei unabhängige Staaten geben, einen jüdischen und einen arabischen. Doch noch in derselben Nacht fallen Schüsse in Jerusalem. Ein Krieg entlädt sich, der bis heute andauert, und der Amos Mutter in eine schwere persönliche Krise stürzen läßt. Es ist schmerzhaft anzusehen, wie diese stolze schöne Frau in ihren persönlichen Abgrund rutscht. Denn da ist nicht nur die Politik, die einer blühenden Zukunft die Wurzeln abschneidet. Während Fania sich um den Haushalt kümmert, schreibt ihr Mann Bücher und sucht das Amüsement. Die persönliche Enge ist für die phantasievolle Frau ein Todesurteil, das selbst ihr geliebter Sohn, dem sie ihre Geschichten erzählt, nicht zu verhindern mag.

Natalie Portman spielt Fania mit glaubwürdiger Melancholie. Die Schauspielerin, die in Jerusalem geboren wurde und fließend Hebräisch spricht, realisiert mit dem Film ein Herzensprojekt und präsentiert gleichzeitig ihr Regiedebüt, das im vergangenen Jahr in Cannes seine Premiere feierte.

Der Film ist ein bunter Bilderteppich, der sich dennoch schwer auf die Gemüter legt. Denn im Gegensatz zu Oz, der mit seinem Buch eine Tragikomödie schrieb und die Schwere seiner Worte mit Humor abfederte, hebt Portman die tragische Seite der Geschichte hervor und stattet sie mit klugen Dialogen aus. Man sieht den Tod, der sich fast unbemerkt in den Alltag der Menschen schleicht, und die Entbehrungen, die die Bewohner des jungen Staates für die Vision ihrer Freiheit in Kauf nehmen. Für Fanias Depression vermischt Portman Phantasie mit Realität und entwirft große gemäldeartige Bilder. Schönheit und Schrecken liegen am Ende sehr nah beieinander.

[ Claudia Euen ]