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Ganz nah bei Dir

Von Schildkröten und Menschen

Das geht schon optisch nicht: Karomuster auf dem Schlafanzug, Längsstreifen auf der Bettwäsche. Ein schöner Kniff allerdings, um zu verstehen, mit was für einem zerrissenen und – das bruchfaltengerechte Aufschlagen der Decke am Morgen verrät es – gleichsam geordneten Menschen wir es umgehend zu tun bekommen. Philipp Baader, ja genau, hinten wie der Terrorist, nur kann dieser Philipp kaum einer Fliege etwas zu Leide tun. Wobei ... ein Premiumgutmensch ist er auch nicht gerade, dafür ist er zu lange Eremit, ein Ningler, ein Einzelgänger, dessen soziale Defizite nicht von der Hand zu weisen sind und sich in einer späteren, folgereichen Begegnung vollends entpuppen.

Ein sinnvolles Motiv für den schrulligen Alleingang durchs Leben bildet auch Paul, der Lebensgefährte Philipps – eine Schildkröte. Die zieht sich immer wieder in den Panzer zurück, das würde Herrchen ihr nur zu gern gleichtun. Doch Philipp kommt letztendlich ganz gut klar, wobei er wahrlich und auf den ersten Blick nicht der einfachste Zeitgenosse ist: Etepetete bis in den Schlüpfergummi! Dafür steht ein elektrischer Hemdenbügler, der die Oberbekleidung und die Seele strafft, dazu gesellen sich die Nörgeleien im Restaurant – keine Oliven, ohne Zitrone, mehr Saft als Wasser für die Schorle, bloß keine Zwiebeln! Zu diesem Korrektheitswahn paßt auch seine Arbeit: Er prüft Falschgeld. Eines Tages wird in seine Wohnung eingebrochen, diese ist letztendlich komplett ausgeräumt – die Polizei bittet er dennoch inständig, sich doch gefälligst die Schuhe auszuziehen. So ein kleinkrümeliger Mensch braucht Veränderung, so einer braucht die Liebe.

Und die kommt auch bald daher, beziehungsweise stolpert ihm sprichwörtlich vor die Beine und schüttet das Getränk übers Revers. Nein, aufpassen konnte Lina nicht wirklich, auch wenn Philipp sie rügt, daß so blind doch keiner sein könne. Lina schon, so richtig, von Geburt an. Die Begegnung zweier besonderer Menschen ...

Wie schon in FICKENDE FISCHE erzählt Almut Getto von einer ungewöhnlichen Paareskonstellation, von nicht ganz unkomplizierten Schicksalen – und sie tut es wie in ihrem Debüt mit Verve, herrlichem Wortwitz, viel Gefühl und einem akuten Hang zum Schrägromantischen. Dazu gehört, wenn Lina und Philipp atemlos durch die Straßen rennen, dazu passen die teils brüllkomischen Sitzungen beim Psychiater, der – wie es sich schickt – selbst ordentlich einen an der Waffel hat, dazu gesellen sich die unsensiblen Reaktionen Philipps. Zum Beispiel, als Lina sich einmal verspätet. Was fällt dem Stoffel da ein? „Wenn man nichts sieht, sollte man vielleicht einfach ein wenig früher losgehen ...“ Das haut rein, das trifft ins Schwarze, da knallt es auch bald mal richtig zwischen den beiden.

Letztendlich ist GANZ NAH BEI DIR eine wunderbar romantische Liebesgeschichte, jenseits dieses sattsam bekannten Katja-Riemann-Miefs, und zudem ein Paradestück des Komikers in Bastian Trost. Es braucht noch nicht einmal die eingeflochtenen – wenngleich überzeugenden – Pantomime-Szenen, Trost erinnert (nicht nur physiognomisch) enorm an Buster Keaton. Trost selbst – im Gegensatz zum hier eindeutig referierten Stummfilmstar – fällt zudem durch seine nasal-kieksende Charlotte-Roche-Schnatterstimme auf, weshalb es zusätzlich gut tut, daß GANZ NAH BEI DIR nicht so verplappert ist, wie viele andere moderne Liebesgeschichten.

D 2009, 88 min
FSK 0
Verleih: Timebandits

Genre: Liebe

Darsteller: Bastian Trost, Katharina Schüttler

Regie: Almut Getto

Kinostart: 12.11.09

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.