D 2018, 108 min
FSK 12
Verleih: Little Dream

Genre: Drama

Darsteller: Katja Riemann, Nils Rovira-Muñoz

Regie: Marcus Richardt

Kinostart: 18.04.19

9 Bewertungen

Goliath96

Vom Verlust an Sprache und Mut

Unbeschwerter kann Leben kaum sein. Und trügerischer ebenso wenig. Daher ist der Einstieg in Marcus Richardts Film klug gewählt, dieses Treibenlassen in den Dünen, dieses Drachenjagen an der See, diese Leichtigkeit im Miteinander zwischen Mutter, Vater und Kind lassen durchatmen und künden doch bereits von einem Abschied. Jahre später leben nur noch Mutter und Sohn zusammen. Und doch getrennt.

Denn seit zwei Jahren verschanzt sich David in seinem Zimmer, jeder Kontakt zur Mutter wird vermieden, Kristin bleibt trotzdem dran, befüllt den Froster in notorischer Regelmäßigkeit mit Pizzakartons, spricht mit ihrem Sohn durch geschlossene Türen und erfindet Lügen vor Kollegen und Freunden: David ist in Texas, ihr geht es gut, und einsam, also bitte, ist sie sowieso nicht. Auch nicht, als sie ihren Job verliert und der eigene Sohn längst zum Gespenst geworden ist. Kristin ist kein larmoyanter Mensch, eher ein sich verbarrikadierender, worin sie David gar nicht so fremd ist.

Sie entzieht sich dieser Last, wonach alle immer nur ihr Bestes wollen, und vertraut sie sich doch wem an, bereut sie es bereits wenige Momente später. Kristin will nur eins: ihren Sohn zurück. Und dafür erfindet sie eine neue Identität und meldet sich in einem Drachenbau-Forum an, in dem David als Goliath96 mit anderen kommuniziert. Als der Junge von Cinderella97 angeschrieben wird, taut er nach anfänglicher Skepsis auf, er verändert sich, bringt Ordnung in sein Zimmer und rasiert sich auch mal wieder. Und Kristin vertieft Fertigkeiten im Drachenbau, hat plötzlich Ahnung von Glasfaser und findet ihr Lachen zurück. Ein Lachen, ein Hoffen, ein Aufflammen, das jedoch wieder auf Lügen gebaut ist.

GOLIATH96 erzählt eindrücklich und berührend von einer, von unserer Zeit, die derartig Druck machen kann, daß nicht Wenige Mut und Sprache verlieren und in Verstummung und Isolation stranden. Der Film hinterfragt tastend, niemals didaktisch überfrachtet, wie man bitte zurechtkommen soll, wenn das Leben zu häufig Haken schlägt, wenn doch früher alles hell war und heute nur noch dunkel scheint. Es geht um Unsicherheit, Angst und Schuldgefühl. Kristin mag ganz sicher Dinge falsch gemacht haben, wie auch nicht? Und David leidet am meisten an sich, an der eigenen Überforderung, dieser diffusen Angst vor der Welt. Und dann gibt es für ihn plötzlich dieses Online-Aschenputtel, während die Mutter wieder zu einer Sprache mit ihrem Kind findet. Der Zuschauer ahnt und spürt natürlich die sich anbahnende Katastrophe, die kommen muß, wenn alte Lügen durch neue entsorgt werden. Richardt erzählt dabei in eng gesteckten Räumen mit Hochspannung von der Suche nach Wegen aus der Isolation, hin zu Akzeptanz.

Neben der in aller Traurigkeit doch sehr starken Geschichte ist es vor allem die Hauptdarstellerin, die GOLIATH96 zu einem Erlebnis macht. Diese unbedingte Liebe einer kämpferischen Mutter wird bei Katja Riemann niemals zu einer Hülle, man spürt ihrer Kristin tatsächlich nach, daß alles wie zusammenrutscht, als Freudentränen über den tückevollen Neuanfang fließen.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.