D 2018, 110 min
FSK 16
Verleih: Concorde

Genre: Komödie, Satire

Darsteller: Oliver Masucci, Katja Riemann, Samuel Finzi, Andrea Sawatzki

Regie: Oskar Roehler

Kinostart: 03.05.18

19 Bewertungen

Herrliche Zeiten

... wenn sich deutsches Kino endlich mal etwas traut

Man muß noch einmal nachtreten: Das ewige schreckliche Kind des deutschen Films Oskar Roehler war natürlich nicht zur zurückliegenden Berlinale eingeladen, seine Filme sind den braven Geschmackspolizisten der Auswahlgremien nicht offiziös oder nicht kompliziert genug oder dann eben doch wieder zu kantig für den Mainstream. Die Entscheidung gegen Roehler, der sich mehr als einmal kühn zur bräsigen Berlinale-Selektionspolitik geäußert hat, kann den Filmemacher nur bestätigen und beruhigen, denn es liefen zwar starke deutsche Filme im Programm, preiswürdig schien den Juroren trotzdem keiner.

Die Unangepaßtheit Roehlers geht für den Zuschauer ohnehin mehr als in Ordnung, denn gerade mit HERRLICHE ZEITEN bleibt der Kinopunk der Stachel im fettgeförderten Deutschfilmarsch. Sein neuester Film ist eine hundsgemeine Attacke aufs Spießertum geworden. Roehler enttarnt all die depressiven Luxusweibchen und Porschefahrer und auch die, die es zu beidem nicht geschafft haben. Die, die gern spießig wären, sich aber noch nicht einmal diesen Status leisten können, sind in Roehlers Augen vielleicht die schlimmsten, wir wissen, er pflegt ja ohnehin einen gesunden misanthropischen Argwohn gegen eine ausgestellte Normalität. So lernen wir Evi und Claus kennen: Sie kuriert ihre seelischen Verstimmungen aus und pflegt den prächtigen Neurosengarten, er saugt Leuten die Wampe flach. Toll wäre, wenn man bei derartigem Streß eine Haushaltshilfe hätte! Und so wehren sich die beiden eher nicht, als Herr Bartos an der Tür schellt, um seine Dienste anzubieten, entgeltlos und ohne Grenzen. Doch moderne Sklaverei hat sehr wohl ihren Preis ...

Roehler und seine furchtlosen Schauspieler Katja Riemann und Oliver Masucci geben dem Affen richtig Zucker, wir erfahren, daß die meisten von uns zum Gehorsam zu groß und zum Gebieten zu klein sind, und daß man skeptisch bleiben soll, da nach Rosenblättern im Bad und Handtuchschwänen auf dem Ehebett nicht selten auch die Kettensäge folgt. Dieses Derbe und Gerissene, dieses Hundsgemeine und doch so Punktierte, dieses Kratzen am deutschen Selbstverständnis und dieses freie Interpretieren, wo bürgerliche Moral aufhört und die saftige Sauerei anfängt – das kann wahrlich keiner so gut wie Roehler. Stimmt schon, hier erzählt ein Intellektueller, der zum Lachen nicht in den Keller geht, aber auch ein stichelnder Wilder, der Charaktere richtig auslotet, manchmal Geschmacksgrenzen überschreitet und dabei doch so punktgenau ins Schwarze trifft.

Roehler wählte den Stil der Satire, spielt dabei mit Überhöhung und Verdichtung, verliert aber das Wesentliche nicht aus den Augen: unsere Erbärmlichkeit. Denn: Wir haben überhaupt nichts gegen Bulgaren, solange sie uns die Schwimmbäder bauen. Nur kennt die Völkerfreundschaft Grenzen, wenn die bärtigen Osteuropäer auf unsere Weiber glotzen oder – schlimmer noch – sich gar am Eigentum vergreifen. Wir haben auch nichts gegen all die Mohammeds, solange sie unsere Waffen kaufen und einem selbst im rechten Moment damit auch mal unter die Arme greifen. Nachbarschaft ist eben etwas Feines. Manchmal ...

Roehler verliert sich nicht in theoretischen Lehransätzen, er erzählt kräftig von turbulenten Zeiten und bedient dabei dieses schöne Medium Kino aufs Feinste, Bunteste, gleichermaßen Feingeistigste und Brutalste. All die braven Filmhochschulabsolventen sollten zuschauen, denn allein die Szene der Komplettentgleisung von Dr. Claus Müller-Todt am Absaugtisch sollte dem Regienachwuchs zwangsverschrieben werden, um zu lernen, was sich deutsches Kino bitte sehr erlauben darf.

[ Michel Eckhardt ]