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Holunderblüte

Ein Abschied vom ehemaligen Ostpreußen

"Und es war Frühling und es wurde Sommer, und es war Herbst und es wurde Winter É" hebt eine Stimme an aus dem Off und zu den Bildern einer von alten Bäumen gesäumten Allee. Nicht von ungefähr stehen Sätze aus einem Andersen-Märchen am Anfang.

Volker Koepp bereist mit seinem neuen Film einmal mehr die Gegend des ehemaligen Ostpreußen, wieder bricht er auf zur Erforschung seines großen Themas von Menschen und Landschaft, sucht die Begegnung mit dem Werk des Dichters Johannes Bobrowski. Wieder hat er an seiner Seite Thomas Plenert, dessen präzise Kamera-Arbeit stilbildend ist, und auch diesmal ist der Rhythmus des Schnittes ruhig. Zeit ist bei Koepp - für Gesehenes und Gehörtes, für Erfahrenes. Und doch unterscheidet sich HOLUNDERBLÜTE von früheren Filmen. Diesmal unternimmt der Regisseur eine Reise, die ihn nicht nur geographisch fortführt, die nicht nur Spuren von Geschichte erkundet, zwischen Vergangenheit und Gegenwart sich vollzieht. Diesmal erzählt Koepp aus dem Leben von Kindern, und mit ihnen begibt er sich an Orte der Magie und Phantasie, dorthin wo Wünsche geboren werden und Sehnsüchte - in die Kindheit. Die Spannung in seinen Bildern gerät für den Zuschauer nahezu ungeheuer, wo sie nicht umhin können, den Kontrast der Erlebniswelten der kindlichen Protagonisten nachzuzeichnen.

Territoriale Heimat ist ihnen das Kaliningrader Gebiet, die russische Exklave, wo sie nach einer weiteren Stufe des Verfalls heranwachsen. Das Ende der Kolchosen nach dem Zerfall der Sowjetunion bedeutet Verlust des Einkommens, damit der Perspektiven. Allgegenwärtig sind Alkoholismus, Gewalt und Verwahrlosung. Familien sind zerstört, Kinder bleiben auf sich allein gestellt. Konsequent folgt Koepp dem kindlichen Blick und Erleben und führt ohne Verklärung vor Augen, daß die schwierige soziale nur einen von vielen Realitäten ist. Der Kosmos Kindheit ist unendlich. Dies offenbart sich in den Berichten der jungen Protagonisten, wo Ängste und Wünsche nebeneinander existieren, in der Beobachtung ihres Alltages, aber auch darin wie sie die Landschaft entdecken mit den ihr eingeschriebenen Möglichkeiten zur spielerischen Eroberung.

Nicht zuletzt wird eine traurige Erinnerung daran geweckt, welch Verlust auch im Erwachsenwerden liegen kann. Koepp findet hier, mit und bei den Kindern, zu einem eindrücklichen Abschluß seines großen "Ostpreußen-Zyklus".

D 2007, 89 min
Verleih: Salzgeber

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Volker Koepp
Kamera: Thomas Plenert

Kinostart: 24.01.08

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.