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Hotel

Über die Tücke im Idyll

Wer sich so ein wenig im aktuellen österreichischen Kino umgeschaut hat, kann schon a bissl Furcht kriegen. Nein, nicht wegen depperter Filme, gar nicht, ganz im Gegenteil, eher wegen ihrer Figuren, wie diese ihre Schatten ziehen, ihre Unberechenbarkeit in scheinbar teilnahmslosen Gesichtern vor sich her tragen. Man wartet förmlich auf den Ausbruch. Angst vor Österreichern kriegt man auch in Jessica Hausners nach LOVELY RITA zweitem Kinofilm. Beschrieb sie in ersterem den Grenzgang eines orientierungslosen, sich ausprobierenden und schließlich Wut, Unsicherheit und Langeweile deftig entladenden Teenagermädchens, geht sie nun den Abgründen einer jungen Empfangsdame in einem kleinen, sehr still gelegenen Waldhotel nach.

Die junge Frau Irene an sich ist schon etwas merkwürdig: schmallippig, ängstlicher Blick hinter unauffälliger Brille, höflich, beflissen, kühl. Sie paßt also wunderbar in dieses trügerische Idyll, das ein Geheimnis birgt, in dem sich auch die Spuren von Irenes plötzlich verschwundener Vorgängerin verwischen. Was wiederum vielleicht mit der Touristenattraktion einer mysteriösen Höhle, in der einst eine als Hexe verbrannte Waldfee hauste, zu tun hat. Bald verschwinden Dinge, sind offen zu haltende Türen verschlossen, geschlossen zu haltende offen, und immer wieder zieht es Irene zum Wald. Das ist auf jeden Fall die falsche Richtung ...

Hausner geht es diesmal nur am Rande um den persönlichen Wahnsinn, um Dämonen, die die Seele quälen, und schon deswegen hinkt der sich kurz aufdrängende Vergleich mit Kubricks SHINING doch etwas. Gemein ist den Filmen die Lust am Spiel mit der Kamera, das Beobachten langer Flure, schräg von unten gefilmter Treppenaufgänge, der Blick auf furchteinflößende Requisiten, hier beispielsweise ein Hirschgeweih. Mit großer Akribie zieht Hausner dieses formale Konzept durch, beispielsweise mit der Idee, daß sich die Figuren kaum von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen. Immer wieder diese furchtsamen Schulterblicke, Aufnahmen der Profile, Hinterköpfe. Bei aller wirklich interessanten Formversessenheit vergißt Hausner so ein bißchen ihre Hauptfigur, man muß da einfach mehr wissen von Warum, Wer und Woher. Da baut sich durch vielfaches Wiederholen von Bewegungsabläufen eine Spannung auf, die dann tatsächlich im Schulterzucken verpufft.

Was ihr auf jeden Fall gelingt, ist die doch immer irgendwie befremdliche Atmosphäre in diesen piefigen Landhotels auf den Punkt zu beschreiben: die gedämpfte, sinnlos klimpernde Hintergrundmusik im Foyer, das zu freundliche "Grüß Gott", und selbst die Äpfel am Rezeptionstresen sehen nach Schneewittchen aus.

D/Österreich 2004, 74 min
Verleih: Neue Visionen

Genre: Psycho, Drama

Darsteller: Franziska Weisz, Birgit Minichmayr

Regie: Jessica Hausner

Kinostart: 27.07.06

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.