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Lenin kam nur bis Lüdenscheid

Eine Kindheit in bewegten Zeiten

Über die prägende Rolle der 68er Generation wird im Jahre des 40. Jubiläums der Bewegung viel resümiert. Jene Zeit des politischen Aktionismus, die Doku-Reihen in TV und Essays des Feuilletons meist objektiv zu betrachten versuchen, wird in LENIN KAM NUR BIS LÜDENSCHEID aus ganz persönlichem Blickwinkel erzählt.

Regisseur André Schäfer verfilmte dazu das gleichnamige autobiographische Buch von Richard David Precht. Precht beschreibt seine Kindheit in Solingen als Sohn linker Eltern, deren politisches Engagement auf komplexe und für den Zuschauer unterhaltsame Weise die Welt des Jungen prägt. Vom anti-autoritären Erziehungsmodell, über kommunistische Ferienlager bis hin zum Revoluzzer-züchtenden Brettspiel, klein Richard erfährt alle Vorzüge der Familienstruktur eines politisch bewußten Haushalts jener Tage. Zusammen mit seinen Geschwistern, seinen Eltern und weiteren Zeitzeugen schaut er heute zurück.

Es ist ein entspannter, eher amüsierter Blick, der den Film wie auch das Buch dominiert. Es gibt allerdings auch ernste, erschütternde Stellen, schließlich reagierte Richards Elterngeneration auf soziale Mißstände und humanitäre Katastrophen. Bilder der Napalm-Opfer des Vietnamkrieges etwa finden ihren Weg in die vielen zeitgeschichtlichen Archivaufnahmen. Die Momente des Innehaltens und kritischen Betrachtens geraten im Film recht kurz, allerdings entspricht die sprunghafte Abfolge durchaus der naiven Wahrnehmung eines Kindes. Der Fokus liegt auf dem individuellen Erleben dieser Zeit, diese Perspektive steht von Anfang an fest. Was dabei aber ziemlich an den Nerven zehrt, ist die Kommentarstimme Prechts, welche die Geschehnisse durchweg aus kindlicher Sicht begleitet und an mancher Stelle arg bemüht wirkt.

Spannend bleibt durchweg, wie für den Prechtschen Nachwuchs die Ideologie der Eltern die kindliche Welt bestimmt. Als die Weltpolitik die rheinische Provinz erschütterte, wurde der Mathelehrer plötzlich zum Klassenfeind oder die Nationalmannschaft der DDR zu Superhelden des Sozialismus. Der private Raum als Spiegel der Zeitgeschichte, dieses Prinzip funktioniert im Buch wie im Film und bietet eine nette Abwechslung von den sonst oft biederen gesamtgesellschaftlichen Betrachtungen anderer Medien.

D 2007, 90 min
Verleih: W Film

Genre: Dokumentation, Biographie, Literaturverfilmung

Regie: André Schäfer

Kinostart: 05.06.08

[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...