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Lenz

Stilistisch und visuell brillantes Psychogramm

Der Berliner Filmemacher Lenz will ein neues Projekt beginnen und begibt sich auf Recherchereise. Als er hört, daß sein 9jähriger Sohn Noah in den Schweizer Alpen den Urlaub verbringt, macht er sich auf den Weg dorthin. Schon unterwegs deutet sich an, daß Lenz, zerrüttet sein Innenleben, auf einem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Normalität balanciert.

In Zermatt angekommen, erlebt er mit Noah ein paar unbeschwerte Tage, bis Nathalie, Lenz’ Ex-Frau, zu den Beiden stößt. Die Dinge werden kompliziert, Lenz verliebt sich aufs Neue in die Mutter seines Sohnes und will an der Kleinfamilie festhalten, obwohl er gleichzeitig spürt und erlebt, daß dies eine Illusion ist. Sein anormales Verhalten und die depressiven Zustände, in welche er immer wieder abgleitet, wecken in seinem Umfeld Mißtrauen und schüren zugleich Angst - Angst um ihn, Angst vor ihm. Lenz hat sein ursprüngliches Projekt inzwischen aufgegeben und angefangen, sich selbst zu filmen. Aber auch dieser Versuch, zu sich zu finden, scheitert, besiegt nicht seine Zerrissenheit. Als Nathalie und Noah schließlich abreisen, bleibt Lenz allein in den Bergen zurück.

Von Büchners gleichnamiger Novelle inspiriert, entwirft der Schweizer Thomas Imbach mit LENZ ein stilistisch und visuell brillantes Psychogramm. Die Handlung, angesiedelt vor der grandiosen Kulisse der winterlichen Landschaft um das Matterhorn, bleibt wie die Quelle fragmentarisch.

Sie ist ein Vehikel, ein immer wieder neu unternommener Versuch, den inneren Zustand der zentralen Figur abzubilden oder vielmehr, diesem nahe zu kommen. Lenz versinkt in Schneewehen, er taucht seinen Kopf in einen halb zugefrorenen Bach, er erreicht bergab halsbrecherische Geschwindigkeiten, er baut für sich und den Sohn ein Iglu, er trägt den Jungen, bis er vor Erschöpfung selbst zusammenbricht ...

Auch stilistisch spiegelt Imbach die Gefühlsschwankungen des Protagonisten. Lange Plansequenzen, die immer wieder zum Bild des Berges zurückkehren (im Wechsel von Licht und Wetter evoziert dieser stetig neue Stimmungen), wechseln mit Handkamera-Szenen, Inszeniertes und Improvisiertes lösen sich ab und werden von Sprüngen im Schnitt begleitet. Aus alledem formt Imbach ein Ganzes, akustisch getragen von ganz verschiedenen Songs und verfremdeten Naturgeräuschen. Unvorstellbar, daß dieses filmische Experiment hätte glücken können ohne den großartigen Milan Peschel - als gequälter Visionär Lenz.

CH/D 2006, 100 min
FSK 6
Verleih: Kinemathek

Genre: Drama

Darsteller: Milan Peschel, Barbara Maurer, Noah Gsell

Regie: Thomas Imbach

Kinostart: 01.02.07

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.