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Lol (2009)

Komisch, anrührend und ganz genau im Ton – so erzählt man Geschichten vom Erwachsenwerden!

Jugend ist immer dann, wenn man halbwachen Geistes ins offene Messer rennt, wenn man genau das macht, wofür man sich später an den Kopf greift. Wenn man so wunderbar sorglos sein darf, ohne Gedanken an die Konsequenzen, wenn man Dinge mit fast liebenswürdiger Berechnung tut. Zum Beispiel sich den Davidstern um die Brust zu hängen, nur um dem jüdischen Jungen aus der Klasse zu gefallen, sich sexuelle Glanzleistungen vorzugaukeln, um dem Anderen zu imponieren und für ein wenig Eifersucht zu sorgen, oder wenn man eben doch anruft oder eine SMS schreibt, obwohl vorher schon längst klar war, der/die will nix von mir. Jugend ist so leicht, Jugend ist so stressig.

Von dieser Schwebe, von dem ewigen Hin und Her, von all den Unsicherheiten, die mit ausgestellter Nonchalance weggebügelt werden sollen und allein dadurch aus hundert Metern Entfernung für all jene, die ihre Jugend schon geschafft haben, erkennbar sind, davon erzählt dieser Film, der – das darf man sagen, auch wenn es schon die Werbung tut – segelsicher im Fahrwasser der LA BOUM-Filme schippert. Das tut LOL ohne Anbiederei, ohne Figuren in der Blaupause, sondern frisch, modern, anrührend und ganz eigenständig. Und – so weit mag man gehen – es dürfte der erste durchweg gelungene Jugendfilm der digitalen Generation sein.

Dabei entsprechen die Helden von LOL gar nicht der gegenwärtigen Kommunikationshysterie, dieser oberflächlichen iPod-Facebook-ICQ-MSN-Twitter-Kategorisierung, sie spüren nämlich, daß es um viel mehr gehen kann, um das Besinnen auf eine irgendwie „normal verrückte“ Jugend, ohne ständigen, auch materiellen Wettbewerb. Einfacher gesagt, und wie es Lola, 15jährig und im Zentrum der Geschichte stehend, in der Szene, in der sich ihre getrennten Eltern wiederentflammt umarmen, bedauert: „ ... daß die Teens heute leider nicht mehr so sind ...“

Und hier geht der Film richtig los, um vielleicht die Antithese zu Lolas resignierter Ansicht zu entwerfen. Sie wohnt mit ihrer Mutter und zwei Geschwistern recht superb mitten in Paris, die Ferien sind rum, sie freut sich auf Arthur. Der allerdings hat eben – typisch für Jungs in dem Alter – einen an der Waffel, haut auf den Putz, daß er sie zwar liebt, aber mit einem anderen Mädchen in den Ferien geschlafen hat. Da gibt es die obligatorische Retourkutsche von Lola, schnell und pauschal steht fest: Arthur hatte einen kleinen Fehltritt, Lola ist die Schlampe.

Und schon hier trifft Lisa Azuelos’ lebensnaher Film ins Schwarze: Wenn man den zweiten, klärenden Satz noch sagen dürfte, wenn man eben nicht sofort zurückschießt und dann käsebeleidigt abgeht, dann würde es doch vernünftig weitergehen. Jugend aber kann und soll nicht vernünftig sein, Erfahrungen müssen gemacht werden, auch wenn sie weh tun. Dabei könnte man wirklich auf die eine oder andere verzichten. Doch da sich Lola später in Mael verliebt, ihre Mutter – gespielt von der scheinbar alterslosen, hinreißenden Sophie Marceau – kurz mit dem Ex, also Lolas Vater, anbändelt, um sich schließlich als Gelegenheitskifferin mit einem Bullen von der Drogenfahndung einzulassen, der blonde Wischmob Isabelle um die Jungs herumscharwenzelt, ist es eben ein langer Weg zur Erleuchtung im regnerischen London ...

Von pointierter Komik, anrührend, unverfälscht und so genau im Ton – so erzählt man Geschichten vom Erwachsenwerden! Azuelos braucht keinen Fäkalhumor, um Authentizität zu behaupten, um Lola und ihren Freunden nahe zu sein, sie hat sich wirklichkeitsnahe Figuren erdacht, die nicht für eine doofe, an ihrer eigenen Wichtigkeit so besoffenen Jugend stehen. Sie beweist das exakte Gespür dafür, was es bedeutet, jung zu sein. Dieses Balancehalten zwischen Pathos und echtem Schmerz, zwischen Freude und kompletter Kopflosigkeit, dieses ewige Austeilen und Einstecken. Konservative Kräfte mögen da eine Besinnung auf „Werte“ sehen, was kompletter Unsinn ist. Azuelos gibt keinen Leitfaden für eine vernunftgeprägte Jugend. Sie zeigt sie, wie sie ist. In all ihrer Widersprüchlichkeit. Dazu gehören Gras und erster Sex (hier wird eben nicht nur blöd davon gequatscht wie in deutschen Pubertätsquälstücken à la SOMMER), dazu gehören handfeste Streits mit Mama und die darauffolgende SMS „Kuscheln?“ Und dazu passen unverblümte Schwärmereien für den Lehrer und das Philosophieren über Unterwäsche.

Zum großen Gelingen dieses lebensechten Films, der auch für Erwachsene perfekt funktioniert, weil er sie weder in der Handlung noch beim Niveau ausspart, trägt bei, daß alle Figuren keine Stichwortgeber sind, sondern echte Hintergründe haben. Und daß Lola von einem sagenhaften neuen Talent gegeben wird – Christa Theret.

Originaltitel: LOL

F 2009, 103 min
FSK 6
Verleih: Delphi

Genre: Erwachsenwerden, Komödie

Darsteller: Christa Theret, Sophie Marceau

Regie: Lisa Azuelos

Kinostart: 27.08.09

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.