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Mein Rußland

Mit Ivan Rebroff durch den Ostblock

Hans will Hochzeit machen. Im Häuserl seiner Mutter Margit wird eine Wohnung ausgebaut. Das Maderl ist liab, weitgehend zahm und angenehm unauffällig, stammt aber leider aus Rußland, oder aus der Ukraine - wer weiß das bei denen schon?

Zur Verlobung macht Annas Verwandschaft ihre Aufwartung, doch kein Pferdeschlitten schneit aus der Steppe in den Wiener Randbezirk: am Bahnhof warten Annas unehelicher Sohn Anton, Mama Olga, Onkel Sergeij samt annähernd hundertjähriger Großmutter auf Abholung. "Hoffentlich stirbts net, die Oma!" Margit sorgt sich rührend um ihre Gäste, schaut, daß sie Hausschuhe tragen, bedauert das arme "halb wilde Kind" und macht die Wodka-seligen Russen mit der zivilisierten Welt bekannt: Schweinsbraten, Freeclimbing, Baumärkte.

In langen, von unruhiger Handkamera ertasteten Szenen, spielt Regisseurin Barbara Gräftner Klischees gegeneinander aus. Obwohl sich ihr Kulturgipfel manchmal verselbständigt und auf ablenkende Nebenschauplätze verirrt, erkundet sie genau und penetrant verkniffene Herzlichkeit und jovial vorgetragene Beleidigungen. Gar nicht dezent rückt sie einem mit den Kau- und Klirr-Geräuschen der mehrtägigen Festlichkeiten auf den Pelz und hat für das, was ihre österreichischen Protagonisten für kulturelles Entgegenkommen halten, mal bitteren, mal sanften Spott übrig. Phantasie-Folklorist Ivan Rebroff singt den aus Wurst und Rohkost gewickelten Zwiebeltürmen des kalten Büfetts per Stereo-Anlage die Weise vom wunderbaren Ostblock - Doktor Schiwago ist hier zu Hause, aber nicht die Oma.

Nichts Geringeres als eine "Befreiung der Köpfe" hat sich Gräftner mit diesem ganz und gar wienerischen Nachtrag zur Dogma-Welle vorgenommen, und bei Gastgeberin Margit fängt sie damit an. Sie ist das unsichere, mütterlich despotische Zentrum dieser Familie von Fremden, der stichelnde personale Kern, der schon mal kollabiert, wenn sich nicht alles um ihn dreht: sie ißt nicht, was sie nicht kennt, trinkt nicht, was man ihr empfiehlt und rettet sich dann und wann ganz ladylike in eine Ohnmacht. Im klugen, liebevoll entlarvenden Blick auf diese Frau ist Gräftners Film ganz bei sich - und bei uns.

Österreich 2002, 92 min
Verleih: Zauberland

Genre: Tragikomödie, Schräg

Darsteller: Andrea Nürnberger, Natalia Baranova, Holger Schober, Iwan Buzinski

Stab:
Regie: Barbara Gräftner
Drehbuch: Barbara Gräftner

Kinostart: 22.05.03

[ Sylvia Görke ]