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Müll im Garten Eden

Häßliche Vögel im vergifteten Paradies

Die Empörung wird groß sein, und das ist gut so. Wer sich in Fatih Akins neuen Film traut, und trauen ist das richtige Wort, weil Akins Werk kaum zur eskapistischen Abendgestaltung taugt, wird trotz und wegen der teils Übelkeit verursachenden Bilder, trotz und wegen dieser Wut über die abwechselnd administrative Willkür und Ahnungslosigkeit, die industrielle Profitgier, die behördliche Kurzsichtigkeit und diese armselige Nach-uns-die-Sintflut-Attitüde einen nachhaltig wirkenden Dokumentarfilm sehen.

Der Titel von Akins jüngster Arbeit ist von ausreichend dissonanter Lyrik, um vorzugreifen, daß es sich nicht „nur“ um das Aufzeigen einer Umweltkatastrophe handelt, es geht auch um das Bedauern des Verlusts von Schönheit, in dem Fall der einer für den Teeanbau bekannten Region an der türkischen Schwarzmeerküste. Und es geht – das macht den Film noch persönlicher – um den Niedergang einer Heimat, der von Fatih Akins Großeltern. Als Vorbote dient eine Plastiktüte auf grünem Grund. Nun ist man darin schon geübt, eine derart marginale zivilisatorische Bremsspur fast auszublenden, das geht wenige Minuten später nicht mehr, wenn man förmlich von der Leinwand riechen kann, wie der Fluß bei Regen nach Scheiße stinkt. Ursache ist eine Mülldeponie oberhalb des Ortes Çamburnu, gegen den Willen der Anwohner und ihres Bürgermeisters von der Regierung durchgesetzt. Die Folgen sind Mißernten, Luftverpestung, vergiftetes Trinkwasser, tote Fische, gesundheitliche Übel und eine zerstörte Landschaft. Die Bauern und Fischer wurden somit ihrer Lebensgrundlage beraubt, mit Schulterzucken und Arroganz wird in Kauf genommen, daß Krankheiten sich ausbreiten, und die Abfälle große, häßliche Vögel anlocken, deren Kot den ohnehin mühseligen Teeanbau ganz zunichte macht.

Fatih Akin stellt sich naturgemäß auf die Seite der einfachen Leute, und für einen kurzen Moment tut es richtig gut zu sehen, daß die Bürgerwehr selbst in der Türkei zu kleinen, demokratischen Erfolgen führt, indem erste Gerichtsurteile durchaus positiv ausfallen. Doch die Machtlosigkeit der Amtsgerichte und viel mehr noch die Winkeladvokaten der Müllindustrie, die auf „gewisse Gesetzesspielräume“ spezialisierten Lobbyisten vereiteln jede Chance auf Veränderung der unwirtlichen Lebensbedingungen. Daß auch Fatih Akin über diese Ohnmacht der an der Umweltkatastrophe leidenden Menschen Wut hat, wird deutlich, doch ihm ist nicht am populistischen Pamphlet gelegen, er schaut wirklich interessiert in traurige Gesichter, hört zornigen Stimmen zu, verhilft den Nottragenden, den von in schnittigen Limousinen herbeieilenden Regierenden Belogenen auf die Bühne, denn es geht um nicht weniger als alles: Der Boden ist vergiftet, das Erbe der Alten zerstört, die Jugend flieht diesen Winkel, es geht um Entwurzelung und Vertreibung mehrerer Generationen. Wenn Akin sich das eine oder andere nostalgische Motiv gönnt von dieser einst so schönen, fruchtbaren, ja paradiesischen Ecke, dann tut er dies, um eben zu erinnern, wie es mal war, und wie es eigentlich wieder sein könnte. Ein harter, ein notwendiger Kontrast.

Um ein wenig zu entwarnen oder Furcht abzubauen – MÜLL IM GARTEN EDEN ist eine unbedingte Empfehlung, auch für einen „richtigen“ Kinoabend. Der anschließende Gang in gastronomische Gefilde muß da nicht ausbleiben. Nur ein Fischrestaurant kommt vermutlich nicht in Frage ...

D 2012, 97 min
FSK 0
Verleih: Pandora

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Fatih Akin
Drehbuch: Fatih Akin

Kinostart: 06.12.12

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.