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Muxmäuschenstill

Ziele, schieße, Ordnung schaffe ... Ein braver Bürger mißversteht Kant

Deutschland am Ende. Keine Moral, keine Ideale. Nur einer leistet Widerstand: Herr Mux. Tadelloser Anzug, jugendliche Spannkraft, eine Knarre und ein Auto, mit dem man auch mal Raser zum Halten zwingen kann. 100 Euro sind fällig, das Lenkrad wird eingezogen, sonst knallt’s.

Muxens Herkunft bleibt rätselhaft. Geschwindelt ist, wie er zugibt, daß man ihn seiner Mutter nach einem Verkehrsunfall aus dem Bauch geschnitten habe. Als gesichert kann jedoch gelten, daß dieser zivilcouragierte Gesetzeshüter zu jenen hinterhältigen Erfindungen gehört, die Kino nicht nur originell, sondern auch politisch, ja geradezu philosophisch machen. Denn neben dem konsensfähigen Schlachtruf "Ich scheiß euch allen in den Hals!" führt Herr Mux auch Kant im Munde - wer sagt denn, daß man nur Schundliteratur mißverstehen kann? Der klugschwätzende Bügelfalten-Rebell richtet seinen Kategorischen Imperativ ausschließlich an die anderen: Hundekotliegenlasser, Vergewaltiger, Freiluftkühlschrankentsorger, Kinderpornogucker, Oderflutplünderer. Auch für schwarzfahrende Touristen keine Nachsicht, "nothing for ungood".

Am Kasus Muxus rechnen Regisseur Mittermeier und Autor/Hauptdarsteller Stahlberg mit kaum versteckter Boshaftigkeit durch, was passiert, wenn einer knackige Phrasen persönlich nimmt: Ordnung muß sein, Verantwortung übernehmen, Null Toleranz, schöner unsere Städte und Gemeinden. Wie im Flipperautomaten ballert ihr Strafexpeditor über ein Minenfeld aus Kavaliersdelikten und Kapitalverbrechen im Alltagslook, in ein roh bebildertes moralisches Vexierspiel mit ätzenden Wiederholungsschleifen, in dem nicht nur Mux das Gefühl für die Verhältnismäßigkeit von Schuld und Sühne verliert. Man hört, es habe schon ein Zuschauer Interesse an der rechtsstaatlichen Offensive bekundet! Der tote Sprayer war ein glasklarer Unfall, zum Kasus Knaxus wird vielmehr die Liebe zu einem Mäuschen vom Lande, das den ritterlichen Verehrer bitter enttäuscht.

Dem fast dokumentarisch gefilmten, seltsam ordentlichen Amoklauf eines German Psycho, Regie Mittermeier, steht ein zweiter Film zur Seite, Regie Mux. Ebenfalls mit Digital-Kamera werkelt er an seinem "Schulungsvideo für die Gesellschaft", einer Sünderkartei mit Beschriftung und genauer Uhrzeit - auch der durchgehend ruppige visuelle Stil ist doppelbödig. Darunter das nur halb entwickelte Negativ staatsbürgerlicher Fehlleistungen, an der Oberfläche ein Netzwerk aus Denunzianten, Verzeihung: Informanten. Seit kurzem ist auch der treudoofe Langzeiterwerbslose Gerd mit von der Partie, auf Lohnsteuerkarte, weil er Herrchen irgendwie an seinen toten Hund erinnert. Mux schafft Arbeit für Deutschland, das Sittenunternehmen expandiert.

Die Filmunternehmung von Mittermeier und Stahlberg mußte ohne öffentlichen Zuspruch auskommen, zumindest, was das Finanzielle angeht. Ihre zwischen drollig und wahnsinnig changierende Erprobung des Kinos als moralische Anstalt hat jedoch mit wenig Geld immense Wirkung erzielt: Bedenken, Preise und Gelächter. Und dann erfährt man von Mittermeiers Angst, sein Regiedebüt könne zu sehr in Richtung Komödie gehen. I wo!

D 2003, 90 min
Verleih: X Verleih

Genre: Satire, Schräg

Darsteller: Jan Henrik Stahlberg, Fritz Roth, Wanda Perdelwitz, Joachim Kretzer

Stab:
Regie: Marcus Mittermeier
Drehbuch: Jan Henrik Stahlberg

Kinostart: 08.07.04

[ Sylvia Görke ]