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One Zero One

Verwandte Seelen in konträren Körpern

Grell, bunt, „Larger Than Life“ ist es, das Werk der Performance-Künstler Antoine Timmermans und Mourad Zerhouni, die sich mit ihren opulenten Club- und Varieté-Auftritten als Cybersissy und BayB Jane einen Namen gemacht haben. Nur passend scheint es da, daß Filmemacher Tim Lienhard die rauschhafte Eröffnungsszene seines Künstlerporträts mit Opernmusik unterlegt, auch wenn die Kunst seiner Protagonisten musikalisch eher in der Welt der elektronischen Beats zu Hause ist. Überhaupt sind es die Kontraste, die in dieser Doku motivisch den Ausschlag geben, auch in den Biographien der beiden Drag-Performer, die Lienhard auf elegante Weise einzuflechten versteht und zusammen mit den aufwendig inszenierten Performances der Maskierungsfanatiker zu einer auf Film gebannten Show vereint, in der Werk und Künstler zu einem untrennbaren Ganzen verschmelzen.

Aber beginnen wir mit dem Augenscheinlichen: Auf der Bühne sind Cybersissy und BayB Jane zwei märchenhafte Wesen, deren Gegensätzlichkeit in Größe und Gestalt ihrer Show sofort etwas Besonderes verleiht. Wie die „kleinste Drag-Queen der Welt“ BayBJane und die extragroße Cybersissy zusammenfanden, kommt passenderweise einer Kindsadoption gleich. Denn Antoine hat Mourad in seine Welt aufgenommen, hat in dem kleinwüchsigen Mann mit marokkanischen Wurzeln etwas gesehen, was sonst keiner sah: einen potentiellen Star. Von Beginn an dem Vorwurf ausgesetzt, einen behinderten Menschen auszubeuten, hat das Duo bald allen Zweiflern und Moralaposteln gezeigt, daß Behinderung und große Show sehr wohl zusammenpassen und die Kontraste jenes gewisse Etwas bilden, das jede gute Show braucht.

Bei aller offensiven Opulenz verschweigt der Film keineswegs die weniger glamourösen Seiten der Künstlerbiographien und thematisiert Antoines schwere Psychose, die ihn fast seine Karriere gekostet hätte, ebenso wie Mourads Knochenkrankheit, der er mit einer beeindruckenden Stehaufmännchen-Attitüde begegnet und sie kurzerhand in seine Performances integriert – wortwörtlich mit vollem Körpereinsatz. Wie diese beiden Außenseiter Schicksalsschläge in Kunst verwandeln, ist imponierend. Wer bereit ist, in die grelle Welt dieser augenscheinlich paradoxen Paradiesvögel der Queer- und Drag-Szene einzutauchen, den nimmt ONE ZERO ONE auf einen Trip mit, der irgendwie obskures Märchen und Doku zugleich ist und die Geschichte zweier verwandter Seelen erzählt, die ihre konträren Körper zur Kunst erhoben haben.

Originaltitel: ONE ZERO ONE

D 2012, 96 min
FSK 12
Verleih: Missing Films

Genre: Dokumentation, Schwul-Lesbisch, Schicksal

Regie: Tim Lienhard

Kinostart: 02.01.14

[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...