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Sarahs Schlüssel

Berührende Bestsellerverfilmung

Am 16. und 17. Juli 1942 werden in Paris 13.000 Juden bei einer Razzia festgenommen und im Vélodrome d’Hiver, der großen Radrennbahn, zusammengepfercht. Ohne Nahrung und Toiletten müssen sie fast eine Woche ausharren, bevor sie nach Auschwitz abtransportiert werden. Unter ihnen fast 4.000 Kinder. Verantwortlich für die Durchführung waren französische Polizisten, ein Fakt, der in Frankreich jahrzehntelang verschwiegen wurde. Erst 1995 entschuldigte sich Präsident Jacques Chirac öffentlich. Heute, mehr als 15 Jahre später, scheint all das schon wieder vergessen. Dagegen arbeitet der Film.

In der Redaktionskonferenz einer Pariser Zeitschrift kündigt die Journalistin Julia einen Artikel über die Ereignisse von damals an und muß den grünschnabeligen jungen Mitarbeitern erst mal eine Einweisung in Geschichte geben. Ihre Erzählung ist gleichzeitig der Beginn der zweiten Zeit- und Erzählebene, der Geschichte des jüdischen Mädchens Sarah. Um ihren kleinen Bruder vor der Verschleppung zu schützen, schließt sie ihn in einer versteckten Kammer ein. Während Julia im Heute herausfindet, daß ihre Wohnung einer jüdischen Familie gehörte, die während der Razzia vertrieben wurde, und sich auf die Suche nach den Hinterbliebenen macht, erleben wir die Odyssee Sarahs, die, inzwischen in ein Lager gebracht, nichts anderes im Kopf hat, als ihren Bruder aus der Kammer zu befreien. Den Schlüssel dazu trägt sie immer bei sich, und nichts kann sie aufhalten, außer der Zeit, die gnadenlos verstreicht und den Jungen am Ende verhungern läßt.

Was zuerst wie ein Arthouse-Blockbuster daherkommt, entpuppt sich schnell als einfallsreich komponiertes Drama, was neben einer sicherlich sehr guten Buchvorlage vor allem einem Regisseur zu verdanken ist, der sein Handwerk versteht. Das Mädchen liegt im Lager auf dem Boden, und der Schatten eines Aufsehers schiebt sich bedrohlich über sie hinweg. In der nächsten Einstellung steht Julia an der Gedenkstätte, die Sonne im Rücken und einen langen schwarzen Schatten vor sich, was ihre gefühlte Mittäterschaft wortlos in Bilder übersetzt.

So tänzeln die beiden Geschichten zur Musik von Max Richter umeinander, in immer enger werdenden Kreisen, und immer wenn man das Ende schon vor Augen glaubt, machen sie noch eine Drehung. Und bei einer Schauspielerin wie Kristin Scott Thomas wünscht man sich, dieser Tanz würde niemals enden.

Originaltitel: ELLE S’APPELAIT SARAH

F 2010, 111 min
FSK 12
Verleih: Camino

Genre: Literaturverfilmung, Drama, Historie

Darsteller: Kristin Scott Thomas, Niels Arestrup

Regie: Gilles Paquet-Brenner

Kinostart: 15.12.11

[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...