1 Bewertung

Shadow Dancer

Hochspannnungskino in Reinkultur

Perfektion ist gerade in der Kunst ein nahezu verpöntes Wort, geht mit ihr doch meist der Vorwurf einher, das Unberechenbare, Fehlerhafte, spannend Menschliche abzutöten. Sie gilt als langweilig. Trotz dieser Konnotation kommt sie dem Rezensenten bei der Auseinandersetzung mit James Marshs hervorragendem Politthriller immer wieder in den Sinn. Denn Marshs Film ist in seiner Erzählweise so effizient, präzise und stimmig, daß einem das Wort „perfekt“ unweigerlich auf den Lippen liegt. Das spannend Menschliche kommt in diesem Fall nicht zum Erliegen. Im Gegenteil. Der Film schafft es, in seiner auf den ersten Blick kühlen Betrachtung seiner Charaktere deren Essenz auf eine Weise herauszuarbeiten, die gründlich und lückenhaft zugleich den Zuschauer herausfordert, seine eigene Empathie gegenüber diesen Menschen stets zu hinterfragen. Das Ergebnis ist eine ganz eigene Suspense, die sich über die wechselnde eigene Haltung zu den Hauptfiguren generiert, ohne die emotionale Verbindung zu ihnen je zu kappen.

Die emotionale Verbindung zum Zuschauer ist entscheidend, vor allem, wenn man sich wie Marsh und dessen Autor Tom Bradby die äußerst schwierige Aufgabe auferlegt hat, von einer Terroristin als Hauptfigur zu erzählen. Einen Zugang schafft Marsh gleich mit der ersten Szene, indem er uns ein prägendes Kindheitserlebnis erschütternd vor Augen führt: Im Belfast des Jahres 1973 soll die 10jährige Collette für ihren Vater Zigaretten kaufen. Statt selbst zu gehen, schickt sie aber ihren kleinen Bruder, der in ein Feuergefecht zwischen Katholiken und Protestanten gerät und angeschossen wird. Ihr Bruder stirbt. Collette lebt.

20 Jahre später in London: Collette trägt eine Tasche offensichtlich gefährlichen Inhalts in die Londoner U-Bahn. Der Anschlag scheitert, Collette wird gefaßt und vom MI5-Agenten Mac angeworben, ihn mit Informationen über die Pläne ihrer Brüder Gerry und Conor zu versorgen. Besonders Gerry ist für den britischen Geheimdienst wichtig, der führende IRA-Mann gilt als gefährdende Komponente bei den laufenden Friedensverhandlungen mit der IRA-Führung. Collette, alleinerziehende Mutter eines 9jährigen Jungen, läßt sich auf den Deal mit Mac ein. Während Collette sich durch die Preisgabe mehrerer Anschlagspläne in immer größere Gefahr bringt, findet Mac, der für Collette zunehmend Gefühle entwickelt, heraus, daß er die junge Frau nur zum Schutz eines weiteren Spitzels in Collettes direktem Umfeld anwerben sollte. Trotz massiven Widerstands seiner Vorgesetzten versucht Mac, die Identität des anderen Spitzels zu ermitteln und so Collette aus dem Fadenkreuz zu bringen.

Andrea Riseborough vermag es in jeder Szene, ihrer Figur zugleich Verletzlichkeit und Stärke zu verleihen und sie trotz steter emotionaler Zugänglichkeit undurchschaubar bleiben zu lassen. Auch Clive Owen zeigt sich als Mac in Bestform und sorgt dafür, daß seine Figur beinahe jede Klischeevorstellung eines britischen Geheimagenten gekonnt umschifft. Wie der Film alle Facetten dieser komplexen Beziehung bis zum Schluß ausreizt, ist vorbildhaft. Der Schluß selbst in seiner Konsequenz ein Statement in Erzählmut. Und der Film in seiner Gesamtheit der Beweis: Perfektion muß nicht langweilig sein. Spannender als hier wird man sie selten erleben.

Originaltitel: SHADOW DANCER

GB/Irland 2012, 101 min
FSK 12
Verleih: Fugu

Genre: Thriller, Drama, Polit

Darsteller: Andrea Riseborough, Clive Owen, Gillian Anderson, Aidan Gillen

Regie: James Marsh

Kinostart: 05.09.13

[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...