Originaltitel: SIBYL

F 2019, 100 min
FSK 12
Verleih: Alamode

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Virginie Efira, Adèle Exarchopoulos, Gaspard Ulliel, Sandra Hüller, Laure Calamy

Regie: Justine Triet

Kinostart: 16.07.20

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Sibyl – Therapie zwecklos

Tanz auf dem Vulkan

Wenn Regisseurin Justine Triet und Mimin Virginie Efira zusammenarbeiten, scheint der deutsche Verleih komödiantischen Titellack auf die eigentlichen Dramen pinseln zu wollen. VICTORIA – MÄNNER & ANDERE MISSGESCHICKE klang nach brachialfeministisch humorisierter Bettlektüre, und obiger Nachklapp sprüht genauso nicht gerade vor Dezenz. Mehr noch, er schlägt regelrecht fehl.

Weil alles – erneut – um eine derart sperrige Figur kreist, daß sie in keine Schublade paßt, schon gar nicht grabbelwitzig angefräste. Diese Sibyl, ehemals trinktechnisch der eigenen Mutter nacheifernd, welche im Suff starb, steht zwar mittlerweile einige Schritte vom persönlichen Abgrund weg. Aber die sichere Entfernung trügt, Erinnerungen brennen und reißen, primär die an Gabriel. Große Liebe war’s angeblich, bis er ging; Sibyl wurde zu stark, zu autark, brauchte seine Hilfe nicht länger. Er hatte nicht den Mumm, ihrer ungekannten Kraft zu begegnen, Machtverhältnisse anzugleichen – und ergriff die Flucht.

Nur einer von vielen Charaktersträngen, die Triet dazu nutzt, pralles Leben abzubilden. Manchmal anstrengend, oft eng an der Realität verbaut, immer ohne Schnörkel, selbst beim Soundtrack streicht sie radikal, wählt wenige kommentierende Lieder statt (vermeintlich) Gefühle transportierender Dauerbeschallung. Eine förmliche Spielwiese für Efira, sie lohnt’s durch eine unerschrockene Performance, zeigt sich wiederkehrend nackt, wörtlich wie metaphorisch.

Und findet trotzdem eine Meisterin in Sandra Hüller als Regisseurin Mika. Jene dreht auf Stromboli (!) einen Film, Psychotherapeutin Sibyl leistet Hauptdarstellerin Margot dringend benötigten seelischen Beistand, Margot trägt nämlich ein Kind unterm Herzen. Vater ist Igor, der Protagonist – und Mikas Freund. Letztere begegnet der Information verständlich unentspannt: „If We Weren’t Seven Weeks Into The Shoot I Would Destroy You!“ Doch die Show muß eben weitergehen, sogar mit Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, Sibyl reiht sich da bald ein. Hüller hingegen stiehlt ihren hochrangigen Kolleginnen gepflegt die Show, destilliert aus ungehemmter Überzeichnung ganz reale Verletzung, vermeidet es, Mika an pure Satire zu opfern.

Was auch einen Grund liefert, weshalb das Ende tief ins Mark kriecht, während das Licht verlöscht, Musik aus dem Inneren spielt und ein Kind die richtigen falschen Fragen stellt.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...