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Simons Geheimnis

Theoretische Abhandlung über tiefe Wunden

Atom Egoyans Filme sind nicht auf direktem Wege zu entschlüsseln. Das machte den Reiz seiner bisherigen Arbeiten aus. Allen voran sein Meisterstück EXOTICA, das man in der Tat zwei, drei Mal gesehen haben muß, um ihm zu erliegen. SIMONS GEHEIMNIS nun stellt zwar auch wieder viele Fragen, zu viele allerdings, um dran zu bleiben. Zu bruchstückhaft am Anfang und im Fortlauf dann zu brav, fast streberhaft, wie Egoyan Szene an Szene packt und ganz artig Rückblenden einflicht. All das soll sich zu einem großen Ganzen verbinden, was es auch irgendwie tut, nur ist das große Ganze schlußendlich keine Geschichte aus Fleisch und Blut. Und genau die soll sie sein, geht es doch um echte Tragödien. Aber SIMONS GEHEIMNIS gerät zum Pamphlet, bleibt nur Hülle, weil Egoyan den fiebrigen Filmemacher unterdrückte und den Theoretiker hat siegen lassen.

So klingen dann auch all die Sätze aus dem Mund der Titelfigur, ein Halbwüchsiger, der im Rahmen des Unterrichts eine Übersetzungsgeschichte mit seiner eigenen verflicht, die eine traurige ist, da seine Eltern bei einem Unfall ums Leben kamen. Und dieser Unfall birgt noch sehr viel Ungeklärtes, Unausgesprochenes – vor allem spielen da Simons Onkel, bei dem er seit der Katastrophe lebt, sein Großvater, ein kürzlich verstorbener Tyrann, und eine als Tante in Simons Leben tretende mysteriöse Frau eine Rolle. Ja, es ist, wie es klingt: kopflastig, bemüht, arg konstruiert. Dabei gebiert sich Egoyan geradezu verbissen, damit daraus nun eine Geschichte wird, die so vieles sein will: das Bildnis einer zerrütteten, einer zerrissenen Familie, gleichsam ein politisches Bekenntnis, weil Terror, Israel und Glauben eine Rolle spielen.

Hätte Egoyan ausgemistet, wäre durchaus ein guter Film über Geheimnisse und Unstimmigkeiten in einer Familie entstanden. Weil er aber zu viel will, wird entsprechend viel erklärt, sehr viel gesprochen, gerade dann, wenn Bilder übernehmen sollten. Dieses Manko müssen reichlich Cello und noch mehr Geige verdecken, was sich flugs enttarnt und den Film damit leider endgültig in die Abteilung Hörspiel schickt. Eine unnötige Spielerei mit dem Internet, eine Art Dauer-Cam-Chat, den Simon in seiner Freizeit betreibt, unterstreicht diese Ansammlung von Talking Heads einmal mehr.

Wer bis zum Ende bleibt, kriegt dann noch eine Dosis Kitsch mit auf den Weg, wobei dem Film dann sogar beinahe etwas Schönes innewohnt. Nach der ewig langen Theorie um Schuld, Rache und tiefe Wunden erzählt Egoyan endlich von Erlösung.

Originaltitel: ADORATION

Kanada 2008, 100 min
FSK 12
Verleih: X Verleih

Genre: Drama

Darsteller: Devon Bostick, Scott Speedman, Noam Jenkins

Regie: Atom Egoyan

Kinostart: 21.05.09

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.