1 Bewertung

Steam Of Life

Nackte Wahrheiten aus finnischen Saunen

Finnische Männer gelten nicht als Plaudertaschen. Wer also einen Dokumentarfilm drehen möchte, der echten Finnen ins Herz schaut, muß sich etwas einfallen lassen. Joonas Berghäll und Mika Hotakainen hatten eine Idee, die so einfach ist, daß man sich fragt, warum keiner vor ihnen darauf gekommen ist: die Kombination von kühlem Alkohol und heißem Dampf.

In der finnischen Sauna gelten andere Gesetze, und selbst harte Kerle werden nach dem dritten Aufguß weich und erzählen von ihren familiären Zwistigkeiten, legen Verletzungen offen und zeigen Gefühle. Es scheint ihnen tatsächlich egal zu sein, daß ihnen gegenüber nicht nur andere Nackte, sondern auch eine Kamera plaziert ist, und so erfährt man erstaunlich schnell Intimes und Persönliches aus ihrem Leben. Dabei beschränkt sich der Film, der im letzten Jahr in Leipzig mit der Silbernen Taube ausgezeichnet wurde, keineswegs auf Porträts nackter Bäuche, sondern nimmt die Zuschauer mit in die entlegensten Ecken Finnlands, wo in verlassenen Telefonzellen, Campinganhängern und diversen selbstgezimmerten Schwitzhütten gesaunt, getrunken und geredet wird. Doch auch wenn diese Reise in finnische Saunalandschaften viele amüsante Momente birgt, man wird doch das Gefühl nicht los, das man selbst aus der Sauna kennt, wenn Unbekannte auf der Bank nebenan sich gegenseitig die Seele öffnen und alle anderen (ungewollt?) daran teilhaben (müssen).

STEAM OF LIFE wurde für seine freizügigen Bilder kritisiert. Doch diese Kritik läuft fehl. Voyeuristisch ist dieser Film nicht bezüglich der körperlichen Nacktheit, wohl aber, was die Aneinanderreihung der intimen Bekenntnisse anbelangt. Gerade weil der Film bei keinem der Protagonisten länger als für einen Aufguß verweilt, stellt sich doch bald ein zwiespältiges Gefühl ein. Einerseits erfährt man mehr von den einzelnen Personen, als man (zumindest in diesem Tempo) wissen will, andererseits bleibt der Kontakt zu oberflächlich, um wirklich Nähe mit den Protagonisten herzustellen.

Am Ende des Films fühlt man sich, als hätte man zu viele Saunagänge absolviert und dabei vergessen, zwischendurch ins Tauchbecken zu steigen. Doch ohne diese obligatorische Abkühlung sind die Seelenqualen nackter Finnen nur schwer zu verdauen. Vielleicht hilft ein Wodka.

Originaltitel: MIESTEN VUORO

Finnland 2010, 85 min
Verleih: Eigenverleih

Genre: Dokumentation

Regie: Joonas Berghäll, Mika Hotakainen

Kinostart: 12.01.12

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.