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Still Walking

Für immer und einen Tag

Noch bleibt Zeit. Herr Yokoyama, ein pensionierter Arzt, nimmt auf seinem Spaziergang die Ehrerbietungen der Nachbarn entgegen. Frau Yokoyama bereitet das Essen vor, assistiert von ihrer Tochter. Schwiegersohn und Enkelkinder kommen nach. Mißmutig macht sich endlich auch Ryota auf den Weg zum Haus der Eltern, begleitet von seiner neuen Frau und ihrem Jungen aus erster Ehe. Der Todestag von Junpei, dem Ältesten der Yokoyamas, ist Anlaß für den alljährlichen Pflichtbesuch. Wie immer wird man zu viel essen – aus Appetit oder Verlegenheit. Wie immer wird man zum Friedhof gehen. Wie eh und je wird man einen dicken jungen Mann als weiteren nachmittäglichen Gast begrüßen, der vor Peinlichkeit und Hitze schier zerfließen will. Denn diesmal ist es besonders heiß.

Ob aber tatsächlich die Sommerglut dafür sorgt, daß diese Bilder an einem kleben wie Honig? Sollte einen die friedlich-beherrschte Gedenktagsstimmung wirklich derart träge machen, daß man das rhythmische Gleichmaß dieses Zusammentreffens, die klappernden Eßstäbchen, die ausgetauschten Höflichkeiten und die sorgfältig arrangierten Blumen im Flur wehrlos über sich ergehen läßt? Tja, „Menschen sind unheimlich“, heißt es hier einmal. Bis auf Herrn Yokoyama, der einfach aufsteht, wann es ihm paßt, bleiben also alle brav bei Tisch: Wir, Ryota und der Rest der Familie, seltsam in Bann geschlagen von einem ritualisierten Treffen der Generationen, in dem sich vergangene und bevorstehende Tode, nicht zuletzt auch das Leben dazwischen ständig vergegenwärtigen.

Regisseur Hirokazu Kore-eda ist ein Fesselungskünstler, der hartnäckig jedes zugespitzte Ereignis, jedes laute Wort verweigert. Für die Kinder in NOBODY KNOWS ließ er sogar die japanische Gesellschaft einen Moment stillstehen. Und siehe, er kann auch Zeit, Luft und Sonne anhalten – für 24 Stunden. Genau so lange dauert nämlich dieser Besuch. Und wenn kein Wind weht, keine Tür knarrt, kein Schmetterling mit den Flügeln schlägt, kann man auf seinen emotionalen Schlachtfeldern eine Stecknadel fallen hören.

Seine Magie macht sich klein. Manchmal hat sie zu tun mit einem schmutzigen Strumpf oder einem Schweißfleck, ein anderes Mal mit zwei abgefallenen Kacheln im Badezimmer, einem gesenkten Blick, einem geschenkten Schlafanzug oder drei originalverpackten Zahnbürsten.

Originaltitel: ARUITEMO, ARUITEMO

J 2008, 114 min
Verleih: Kool

Genre: Familiensaga, Drama

Darsteller: Abe Hiroshi, Harada Yoshio, Kiki Kirin, Natsukawa Yui, Tanaka Shohei

Stab:
Regie: Hirokazu Kore-eda
Drehbuch: Hirokazu Kore-eda

Kinostart: 18.11.10

[ Sylvia Görke ]