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Sturm

Erstklassiges Wut-Kino vom Verhandeln über Gerechtigkeit

Das ausgelassene Treiben an der Küste ist trügerisch, die Hauptfigur schaut scheu um sich, die Sprachen wechseln, der Tonfall fällt ins Flüstern. Goran Duric ist längst nicht mehr der selbstsichere Befehlsgeber, ganz klein wird er schließlich, als er nachts die Knarren der Polizei auf der Brust hat. Ein kurzer Moment der Gerechtigkeit in einem Film über großes Unrecht. Duric wird festgenommen, da er für die Deportation und das systematische Abschlachten von unzähligen Bosniern verantwortlich sein soll. Den arroganten Blick, die selbstsichere Ruhe kriegt er erst und ausgerechnet vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wieder – kein Wunder, denn nicht selten bekommen Täter die taffesten Verteidiger und geraten die Opfer in Erklärungsnot.

Gut, daß es auf der anderen Seite Hannah Maynard gibt, eine resolute Anklägerin, die sich des Falles angenommen hat. Allerdings muß sie mit ansehen, wie sich ihr in die Enge getriebener Zeuge verzettelt, schließlich verzweifelt und sich kurz darauf umbringt. Auf der Beerdigung lernt sie dessen Schwester kennen. Miras Schicksal berührt Hannah tief, dieser Duric ist auch für die Verschleppung und Massenvergewaltigung von bosnischen Frauen verantwortlich. Auch Mira wurde zum Opfer, und sie hat nicht vergessen: Wer krank wurde oder sich nicht fügte, kam in den Keller des Hotelkomplexes und wurde erschossen. Der Prozeß kommt wieder ins Rollen, in dessen Verlauf Hannah feststellen muß, daß es eben nicht allein um Gerechtigkeit und die Verteidigung dieser geht. Alte Seilschaften, perfide Machtspiele, krimineller Zusammenhalt und moralischer Stumpfsinn machen eine entsprechende Bestrafung Duric’ eigentlich unmöglich.

Wut. Die stellt sich als erstes und immer wieder während des Films ein. Wut über großes Unrecht, Wut über den Zustand, daß Schuld und Gerechtigkeit bisweilen verhandelbar werden. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, den Hannah im Auftrag der Opfer und der Menschlichkeit führt, pure Aufreibung gegen behördliche Willkür und Intoleranz. STURM ist auch eine Geschichte über Hilflosigkeit, hilflos darüber, wie Gesetze gedehnt, Paragraphen aufgeweicht und Prozesse durch Taktieren aus der Bahn geführt werden, wie aus dem Fokus gerät, daß es hier letztendlich und allein um Menschen geht. In Bars, in Hotellobbys, in grauen Büros wird mit Mappen unterm Arm über Leben und Tod, über Strafe und Rehabilitierung entschieden.

Hans-Christian Schmid, dieser ungeschwätzige Filmemacher, hat gottlob kein Pamphlet aus diesem kraftvollen Stoff gemacht, vielmehr ein echtes Stück Kino mit Thrillerqualität, das sich unverkennbar und auf Augenmaß an wegweisenden Filmen von Lumet, Jewison, Pollack und Pakula orientiert. Beeindruckend allein, wie effizient Schmid die Hauptfiguren in kurzen, markanten Strichen skizziert und genug Raum für deren Entwicklung läßt. Auch formal besticht STURM mit einer exzellenten, in die Figuren und deren Ängste eintauchenden Kamera, mit der sich perfekt in die Geschichte einbindenden, minimalistischen Musik von Schmids Wegbegleitern The Notwist, mit einem Schnitt, der genau weiß, wann man Gedanken und Emotionen der Handelnden und den Fortlauf ihrer Geschichte in die Hände des Betrachters legt. Keine Redundanz, keine unnötigen Erklärungen – STURM nimmt den Zuschauer ernst, keiner muß moralisch geschult, sondern eher behutsam und aus dem Leid der Protagonisten heraus erinnert werden. Denn es ist doch so: Mit dem Sand unter den Füßen, der Sonne im Gesicht und Cevapcici am Gaumen denkt niemand daran, welch Unrecht nur wenige Kilometer von der Adria-Küste entfernt und damit direkt vor unserer Haustür geschah.

Brillant ist Schmid die Zeichnung seiner Hauptfigur gelungen. Kämpferisch, wütend, leicht angeschossen – diese Hannah Maynard ist keine Bürostute, sie will wirklich etwas, sie quält sich fast masochistisch. Und letztendlich bleibt auch sie Mensch – mit noch tieferen Furchen um die Mundwinkel, nach privaten und beruflichen Enttäuschungen, in einem beinahe selbstlosen Akt der Zivilcourage.

Originaltitel: STORM

D/DK/NL 2009, 105 min
FSK 12
Verleih: Piffl

Genre: Drama, Thriller

Darsteller: Kerry Fox, Anamaria Marinca, Stephen Dillane, Alexander Fehling, Rolf Lassgard

Regie: Hans-Christian Schmid

Kinostart: 10.09.09

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.