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Tristia – Eine Schwarzmeer-Odyssee

… mit Problemen beim Zieleinlauf

Der Weg führt einmal um das Schwarze Meer, frißt 5000 Kilometer und quert sieben Länder. Da kann und darf einem gegen Ende schon die Puste ausgehen. Insofern sei Regisseur Stanislaw Mucha entschuldigt, wenn selbst bloß reichlich anderthalb Stunden schließlich doch den Eindruck hinterlassen, sich verdächtig zu strecken, irgendwann bis zur echten Länge. Dabei fing alles doch so gut an, in Odessa nämlich.Dort wird’s gleich nicht nur skurril, sondern bitterböse bis realsatirisch, wenn der Straßenrand allerhand Sachen zum Verkauf offeriert: eine Kalaschnikow? Bitte, gern, das minderjährig wirkende Mädchen am Stand nebenan hilft! Ein Welpe? Klar, welcher soll es sein? Allein die Moral scheint leider gerade ausgegangen. Kommt vermutlich auch die Tage oder Jahre nicht mehr rein.

Weiter geht’s auf der Reise. Wir treffen auf ins Zentrum gerückte Brennpunkte, sehen und hören unter anderem eine leicht nervös an ihrer Sonnenbrille nestelnde Hobby-Lyrikerin beim Versuch, Erklärungsnöte zu überwinden: „Ovid hat nur ganz lieb mit den Kindern am Ufer gespielt. Deshalb die Jungs am Denkmal!“ Man versteht ob solcher Weltoffenheit sofort, weshalb aus einem schlechten Leben (damals) ein mittelmäßiges (heute) wachsen konnte, woran stabile Sterberaten keinen unwesentlichen Anteil tragen. Und so fort.

Teilweise grandiose Montage scheint sich über das Dargebotene zu belustigen, verliert aber niemals den angebrachten Ernst aus den Augen, falls jener nötig scheint – beispielsweise bei Schilderungen kriegerischer Auseinandersetzungen oder Augenblicken, während derer sich Interviewte tatsächlich um Kopf und Kragen zu reden drohen. Mucha gelingt es außerdem, Parallelwelten aufzudecken: Hier filmt er eine urlaubende, offensichtlich betuchte Seniorin, wie sie sich, Liedchen singend und einem gestrandeten Wal deutlich artverwandt, in der Brandung wälzt – dort eine Oma, stumm und gebeugt nach einem Sturm den Strand aufräumend. Für die Gäste, logisch.

Trotzdem, wie oben bereits angedeutet, überholt sich Muchas Vision irgendwann. Vielleicht angesichts des gefühlt 38. abgelichteten Denkmals, des 56. mürrischen Kindes, der 27. nicht hinterfragten, sondern einfach hingeworfenen Provokation. Waren Marx und Lenin wirklich arbeitsscheue Gesellen? Medea tatsächlich eine Hure? Keine Ahnung. Aber leider entweicht das Interesse an solchen Fragen eben gemeinsam mit der erzählerischen Luft.

D 2014, 98 min
FSK 0
Verleih: MFA

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Stanislaw Mucha
Drehbuch: Stanislaw Mucha

Kinostart: 19.03.15

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...