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Wir sind jung. Wir sind stark.

Vom Radikalisieren und Versagen

Wenn es im Kino mal wieder um deutsch-deutsche Geschichte geht, kommen meist die Opfer zu Wort. In Florian Henckel von Donnersmarcks DAS LEBEN DER ANDEREN waren das Künstler, die von der Stasi verfolgt wurden, in Christian Petzolds BARBARA eine junge Ärztin, die die Enge des DDR-Staats nicht mehr ertrug. Wo aber sind die Täter? Was hat sie motiviert, daß es so weit kommen konnte?

In WIR SIND JUNG. WIR SIND STARK. steckt Regisseur Burhan Qurbani die Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 in einen fiktionalen Mantel. Hunderte Jugendliche hatten damals ein Asylbewerberheim in Brand gesetzt, Tausende Zuschauer applaudierten, während sich über hundert Vietnamesen, Journalisten, Sozialarbeiter und Aktivisten der Antifa vor den lebensbedrohlichen Flammen ins Nachbarhaus retteten. Regisseur Burhan Qurbani hangelt sich nun trotz aller filmtauglichen Fiktionalisierung beeindruckend nah an der Wirklichkeit entlang.

Im Zentrum steht Stefan, Sohn eines charakterschwachen Lokalpolitikers, den Devid Striesow einmal mehr in Höchstform gibt. Ohne Job und Perspektive vergeudet Stefan die Tage. Wortkarg schließt er sich – irgendwie aus Mangel an Alternativen – dem durchgeknallten Robbie und den anderen an. Wurde Lichtenhagen zu DDR-Zeiten noch als Musterbeispiel vorbildlichen Städtebaus gefeiert, hängen die Jugendlichen nun in Springerstiefeln vor verrosteten Kleintransportern und umgekippten Mülltonnen herum, trinken Bier und haben den Schritt in die neue Zukunft noch nicht gemacht. Philipp erinnert sich, wie er früher mit seinem Vater die großen Schiffe im Hafen bewunderte, heute ist an die Stelle der Bewunderung Wut getreten, die er selbst nicht erträgt, wie er in seinem Abschiedsbrief schreibt. Kurz darauf springt er aus dem Fenster.

Schwarzweiß sind die Bilder, die radikal die Ausweglosigkeit der jungen Generation nur zwei Jahre nach der Wende spiegeln. Gegen die Langeweile erfinden sie immer wieder neue Grausamkeiten, um sich gegenseitig bei Laune zu halten. „Du darfst nicht mit“, sagt Jennie zu Ramona,

„ ... weil Du noch nicht gefickt hast“. Sie ist trotzdem dabei, obwohl sie nichts miteinander verbindet, außer daß ihnen nichts einfällt, was sie sonst tun könnten. Ihre Wut projizieren sie auf Sinti, Roma und Vietnamesen. Die Rostocker fühlen sich in ihrem Nichtstun von denen belästigt, die noch weniger haben. Der Film erzählt von dem Tag, an dem die Ereignisse in Lichtenhagen kollabierten. Von Lien, einer jungen Vietnamesin, die trotz aller Anfeindungen in Deutschland bleiben will, von Stefan und seiner Gang, die von einer „völkischen Revolution“ träumen. Dennoch: Es will sich einfach keine Zufriedenheit einstellen, bis der erste Brandsatz fliegt.

Fünf Jahre recherchierte Regisseur Qurbani zum „Pogrom“ von Rostock, der die Nachwendegesellschaft bis ins tiefste Mark erschütterte. Der Sohn afghanischer Eltern fühlte sich damals sehr fremd, nicht willkommen, erinnert er sich, und trotzdem stellt er die jugendlichen Brandstifter nicht an den Pranger. „Ich glaube, daß es vielen, die damals Steine und Mollies geworfen haben, eigentlich sehr ähnlich ging“, sagt der 36jährige heute. WIR SIND JUNG. WIR SIND STARK. ist ein erschütternder und gerade deshalb sehenswerter Film, da er eben nicht nur erzählt, wie sich Jugendliche auf der Suche nach einem Platz im Leben radikalisieren und den Bezug zur Realität verlieren. Es geht auch um eine Gesellschaft, die es verpaßt hat, alle miteinzubeziehen – ein Versagen, auf dem ein neuer Nationalismus wachsen konnte und es bis heute tut.

D 2014, 128 min
FSK 12
Verleih: Zorro

Genre: Drama

Darsteller: Jonas Nay, Trang Le Hong, Saskia Rosendahl, Devid Striesow, Joel Basman

Regie: Burhan Qurbani

Kinostart: 22.01.15

[ Claudia Euen ]