Michel Boujut, 304 S., 13 Abb., Alexander Verlag, Berlin, 30,– EUR

Buch: Claude Sautet – Regisseur der Zwischentöne

[ 28.09.2022 ] Es gab nur einen Claude Sautet. Vor und nach ihm hat im französischen Kino keiner so erzählt wie er. In Verknappung und Präzision, in bewußter Beiläufigkeit und Unaufgeregtheit, dabei immer mit geschärftem Fokus auf Seelenzustände und Milieus, auf Bedürfnisse und Unterdrückungen. Sautet war darin einer der erfolgreichsten Regisseure der 60er- bis 80er-Jahre, und genau dieser Erfolg machte ihn für manch’ elitären Cinephilen verdächtig, oder, wie der Cannes-Chef Thierry Frémaux sich an das Naserümpfen als Vorgeschichte zu diesem Gesprächsband erinnert: „Eine Hommage an Sautet? Diesen ‚Erfolgs‘-Regisseur? Diesen bürgerlichen Autor, der für die Bourgeoisie Filme gemacht hatte und es vorzog, über die Qualen des mittleren Alters zu sprechen als über die Revolution? Nein, im Ernst, nicht Sautet!“

All das ist lange her, und auch wenn Sautet für viele Puristen noch immer nicht in den eng gefaßten Kanon des Cinéma français gehört, Sautet bleibt einzigartig, ein Großteil seiner gerade mal 13 Filme in 35 Jahren unvergessen, unerreicht sowieso. Es darf erinnert werden, wie hilflos beispielsweise der nun wirklich nicht unbegabte Guillaume Canet mit KLEINE WAHRE LÜGEN im Windschatten von Sautets VINCENT, FRANÇOIS, PAUL UND DIE ANDEREN fuhr und bemitleidenswert scheiterte. Es gab wirklich nur einen Sautet.

So wie es auch nie wieder eine Schauspielerin wie Romy Schneider gab. Ein großes Glück fürs Kino, ein großes Glück auch für Sautet und Schneider, daß die beiden sich begegneten. Sautet löschte sein „Sissi“-Gedächtnis komplett, als er die Schauspielerin in DER SWIMMINGPOOL sah. Er erkannte die Kraft und Zerbrechlichkeit der Ausnahme-Aktrice schnell, so war er in der Lage, auch beim Dreh Schneiders anfängliche Zweifel oder gar Schüchternheit in hohe Spielkunst zu wandeln. Die beiden verband eine tiefe Freundschaft, bei der Arbeit griff Sautet dennoch zu den erprobten Mitteln der Manipulation und strengen Anweisung. Es entstanden Meilensteine des französischen Kinos: DIE DINGE DES LEBENS, DAS MÄDCHEN UND DER KOMMISSAR, CÉSAR UND ROSALIE (Schneider war hier nicht die erste Wahl und meinte zu Sautet: „Ich werde Deine Rosalie

sein. Im übrigen weiß ich sehr wohl, daß Madame Deneuve die Rolle abgelehnt hat ...“) und schließlich EINE EINFACHE GESCHICHTE, für die Schneider ihren zweiten César gewann. Fünf gemeinsame Filme wurden es, und Sautet erinnert sich an Schneider in tiefer Zuneigung: „Romy ist eine Schauspielerin, die über das Alltägliche hinausgeht. Sie besitzt die Ambiguität, die das Privileg großer Stars ist. Ich habe sie hinter der Kamera gesehen, konzentriert, ängstlich, mit einer Noblesse, einer Impulsivität, einer moralischen Haltung, die Männer bedrängt und verstört. Romy wurde eine französische Schauspielerin, die weder Mittelmäßigkeit noch das Erlöschen von Gefühlen erträgt.“

Die hier versammelten, klug und hintergründig geführten Gespräche zwischen Sautet und dem Kritiker Michel Boujut werden ergänzt durch Erinnerungen von Daniel Auteuil, Michel Piccoli,

Bertrand Tavernier und François Truffaut. Auteuil führt beispielsweise aus, wie nah dran er war, für EINIGE TAGE MIT MIR abzusagen, er fühlte seine Rolle nicht, aber er wußte auch, daß man Sautet nicht absagt. Und war schließlich dankbar, da Sautet, wie es eben nur große Regisseure können, ihm den Zugang zu einer auf den zu schnellen Blick uneinnehmbaren Figur verschaffte.

Wer DIE DINGE DES LEBENS gesehen hat, wird natürlich den Unfall nie wieder vergessen. Und das, weil hier eben die große Präzision Sautets aufs Perfekteste greift. Im Buch erzählt er detailliert, wie er diese herausfordernde Szene angegangen ist, und trotzdem verrät diese Konkretheit nicht die Wirkweise des Films, den man sich immer wieder ansehen kann und irgendwie auch muß.

Sautet interessierte immer die Verlorenheit des Einzelnen in der Gesellschaft und war entschieden gegen Eindeutiges, der Zuschauer mußte mitarbeiten. Ein Pionier, wenn man so will, gerade beim Blick auf das heute oft so geheimnislose, alles erklärende Kino.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.