Originaltitel: SIRÂT

F/Spanien 2025, 120 min
Verleih: Pandora

Genre: Drama

Darsteller: Sergi López, Bruno Núñez, Stefania Gadda, Tonin Janvier

Regie: Óliver Laxe

Kinostart: 14.08.25

  • Film des Monats

Sirât

Im Kino gewesen. Gefühlt.

Wenn man über einen Film so wenig wie nur möglich schreiben sollte, im Sinne von verraten und preisgeben, dann gilt das definitiv für SIRÂT! Und trotzdem: Man muß über diesen Film schreiben, reden wird man eh über ihn, weil Óliver Laxes Cannes-Preisträger in keinerlei Hinsicht klassisches Kino ist. Klar, es wird immer diejenigen geben, die eh schon alles gesehen haben, natürlich, aber ich lehne mich trotzdem hinaus und weiß ganz sicher, daß Laxe etwas Einmaliges gelungen ist: SIRÂT übersteigt die Filmkunst, ist vielmehr eine physische Erfahrung, die nicht nur nachwirken wird, der Film hinterläßt regelrecht bleibende Spuren. Selten habe ich mich nach einem Kinobesuch so atemlos, so erschöpft, so geschockt, so verblüfft, so überrumpelt, aber eben auch so beseelt gefühlt. Oder eher noch: nie bisher!

SIRÂT versteht sich als ein Kinopoem, das sich seiner Bestimmung gewahr ist – originär erzählen und Bilder liefern. Und was für Bilder! Gleich von Beginn an – diese Wand aus Lautsprecher- und Baßboxen vor rotsandigem Felsrelief mitten in der marokkanischen Wüste ist nicht weniger als monumental. In diesem Setting findet ein Rave statt, illegal, von Hand zu Hand aufgebaut, erreichbar nur per 4 x 4, exklusiv für ausgestiegene Eingeweihte. Und in diesen Pulk mischen sich Luis und Esteban, Vater und Sohn, beide auch auf der Suche, aber nicht nach Transzendenz, nicht nach Bewußtseinserweiterung, sie treibt auch nicht der auf die Brust drückende Baß an, sie suchen Marina. Luis’ Tochter, Estebans Schwester. Seit Monaten nicht auffindbar, einfach verschwunden, hier in Marokko bei einem Rave. Sie verteilen Handzettel, fragen Tanzende und Ruhende, schauen in Gesichter, die teils so weit weg scheinen und trotzdem mehr verraten, als zu verbergen sie in der Lage sind. Als das Militär den Rave auflöst, scheren einige der Trucks aus, Luis und Esteban schließen sich ihnen in ihrer Verzweiflung einfach an. Und was dann in Folge passiert, zerreißt einem gleich mehrmals das Herz ...

SIRÂT erzählt von Zusammenhalt in der Verlorenheit, von seltsamen Ersatzfamilien, von väterlicher Trauer und brüderlicher Einsamkeit, von Flucht und Ausbrüchen. Laxe bettet Solidarität, Dankbarkeit und Empathie in extremen Kontrast zur weltlichen Bürde, daß man wohl immer im Leben für alles Konsequenzen zu tragen hat. Bei ihm liegen – körperlich wie seelisch – Freiheit und Gefangenschaft dicht beieinander, schon daher konnte es nur die Wüste als perfekt gewählter Ort für diese bildgewordene Kraftanstrengung sein. Wir sind alle oder nichts. Im Existieren und im Untergang. Umso irritierender auch, wie sich ein Menschenfreund, der Laxe zweifellos ist, zu dem entscheiden konnte, wozu er sich im Fortlauf seiner Erzählung entschied.

SIRÂT ist in jedem Moment eine ekstatische Kinowucht, ein brachialer Fiebertraum, ein schonungsloses Aufzeigen aller Koloriten aus der Schmerzpalette, denn auch wenn oder gerade weil Laxe unübersehbar an Resilienz glaubt, vielleicht sogar an ein „Über“-Leben, er weiß zu gut, daß man zerbrochene Herzen nicht dauerhaft wegtanzen kann, daß es gewiß Substanzen oder vielleicht sogar eine höhere Ordnung gibt, die einen überdauern lassen, zur Dämmerung taugen, Trauer aber bleibt unkorrumpierbar.

Das Verständnis von der Unerbittlichkeit des Schmerzes paßt perfekt zur brütend heißen Sonne, die aus allen Bildern glüht, zu den pochenden Membranen aus Subwoofern, die den Zuschauer einzusaugen drohen, zu den erschöpften Gesichtern und natürlich auch zu einer mindestens majestätisch und ebenso gnadenlos zu nennenden Landschaft.

Um die Furcht zu nehmen – SIRÂT mag in Momenten beklemmend sein, gar keine Frage, zugleich wohnt dem Film aber eine Kraft, eine Erhabenheit inne, die einem genau dann, wenn einem die Füße weggezogen werden, ganz sanft Hoffnung zuspielt, was mich, siehe oben, nach aller Rührung auf tatsächlich sehr eigenwillige Weise beseelt aus dem Kino gehen ließ. Vielleicht eben doch auch aus dem einfachen Grund, teilhaben zu dürfen an einem bisher nicht erlebten Kinoereignis.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.