Originaltitel: BELFAST

GB 2021, 99 min
FSK 12
Verleih: Universal

Genre: Drama

Darsteller: Caitriona Balfe, Jamie Dornan, Judi Dench, Ciaran Hinds

Regie: Kenneth Branagh

Kinostart: 24.02.22

5 Bewertungen

Belfast

Beschwingtheit, Wehmut und große Songs – ein Kinomärchen über eine nordirische Kindheit

Gleich zu Beginn ein Schweben. Mit der Kamera geht es da schnurstracks herab aus dem blauen Himmel; als senke sich der Heilige Geist höchstselbst hernieder zu einem beschwingten Gleitflug über Belfast, der Hauptstadt Nordirlands. Und was für Musik hört der Heilige Geist, wenn er das tut? Logisch: Einen entsprechend beschwingten Song von Van Morrison, „Down To Joy“ nämlich. Wenn das mal keine Ansage ist für den Anfang eines Films!

Nicht, daß dann ausschließlich Freude und Beschwingtheit herrschen in dieser Geschichte. Regisseur Kenneth Branagh kehrt mit seinem neuen Film BELFAST zurück in die Stadt seiner Herkunft. Und in die Zeit seiner Kindheit. Der Flug über das Gegenwarts-Belfast endet dabei programmatisch: nämlich an einer jener „Peace Walls“, die in allen nordirischen Städten und da insbesondere in Belfast die Wohngebiete der Protestanten von denen der Katholiken, das heißt, die Parteien der pro-britischen Unionisten von denen der pro-irischen Republikaner, trennten. Und die heute die Mahnmale, die Menetekel eines alten, blutigen Konfliktes sind.

1969 entstanden diese Grenzziehungen. 1969 spielt BELFAST. Der Kamerasprung über die „Friedensmauer“, mit der der Vorspann endet, ist somit einer über die Zeitmauer, mit dem die Geschichte beginnt. In deren Mittelpunkt steht der 9jährige Buddy. Ein Rotzjunge, wie er irischer nicht sein könnte; aufgehoben und geborgen in einer Familie, wie sie irischer nicht sein könnte. Wozu auch gehört, daß der Vater oft nicht da ist, weil er drüben in England das Geld verdient. Geld, das gleichwohl ständig knapp ist. Am Zusammenhalt in der Familie wie auch dem in der Nachbarschaft ändert das nichts. Daß man protestantisch ist, spielt in dem konfessionell gemischten Stadtviertel, in dem Buddy heranwächst, keine große Rolle. Noch nicht.

Branagh wurde 1960 in Belfast geboren. Autobiographisch eingefärbt ist sein Film also mit Sicherheit. In welchem Maße, ist indes nebensächlich, allein schon deshalb, weil diese Erinnerungswelt, die Branagh hier heraufbeschwört, ein einziges nostalgisches Idyll ist. Ein schwelgender Kindheits-Traum, oder besser gesagt: Ein Märchen von Kindheit oder vom Kindsein.

„Märchen“ deshalb, weil Buddy von der Liebe, die er in seinem Familiengefüge erfährt, wie von einem Bannzauber geschützt ist vor den Härten einer sozialen, aber auch politischen Wirklichkeit, die dann recht schnell und dramatisch in Form eines brandschatzenden protestantischen Mobs Einzug in die Handlung hält. „Märchen“ aber auch, weil in diesen ja, ähnlich wie in den alten großen Western, die Buddy und sein Bruder Billy so lieben, das Richtige und das Falsche, das Gut und das Böse klar unterscheidbare Kategorien sind. Ambivalenzen gibt es in BELFAST nicht. Und wenn Buddys Vater in einer Kernszene dem fanatisierten protestantischen Einpeitscher aus der Nachbarschaft die Stirn bietet, ist es nur folgerichtig, daß dazu mit „Do Not Forsake Me, Oh My Darlin´“, der Titelsong aus 12 UHR MITTAGS, zu hören ist.

Natürlich ist das auch wunderbar ironisch gefärbt. Allein, weil es in BELFAST ja oft vor allem die Frauen sind, die sagen, wo es langgeht. Und mithin den Frauen in Buddys Familie (der Mutter und Großmutter) einige der schönsten Momente dieses Films gehören, der in exquisiten Schwarzweiß-Bildern, schwebend zwischen Beschwingtheit und Wehmut, seine hinreißende, warmherzige Familiengeschichte erzählt. Und dabei immer wieder einen der größten Heiligen Geister Irlands, Van „The Man“ Morrison, seine Botschaften in Liedform verkünden läßt. Doch, doch: Es ist die reine Freude! Down To Joy! Auf ins Kino!

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.