Originaltitel: LE PREMIER JOUR DU RESTE DE TA VIE

F 2008, 113 min
FSK 12
Verleih: Kinowelt

Genre: Drama, Familiensaga, Erwachsenwerden

Darsteller: Jacques Gamblin, Zabou Breitman, Deborah François, Marc-André Grondin

Regie: Rémi Bezançon

Kinostart: 23.04.09

25 Bewertungen

C’est la vie

Wenn das Leben keinen Fahrplan kennt

Zu Beginn dieser komplex erzählten Geschichte läuft das bereits gelebte Leben der Duvals in grobkörnigen Super8-Bildern ab: Erinnerungen, Urlaubsreisen, die ersten Schritte der Kleinen, Tränen, Lachen, Hoffnung – Bilder einer glücklichen Familie. Und schon mit diesem Einstieg wird ein Abschied verkündet, der in einem Generationenporträt immer auch Aufbruch ist. Die Kinder werden größer, die Sorgen ziehen da gleich, die Eltern verstehen ihre Süßen immer weniger: Grunge halten sie für Dreck zwischen den Zehen, Kiffen ist für sie gleich der erste Schritt in die Sucht, und daß es auch gut sein kann, sich mit wechselnden Partnern eine gewisse sexuelle Erfahrung anzueignen, haben sie auch beinahe vergessen, diese 68er-Eltern Marie-Jeanne und Robert. Haben sie doch beinahe sogar den ehelichen Sex schon vergessen ... Und doch sind sie gute Eltern, die das Beste für ihre Kinder wollen, denn ein Kind bleibt immer das Kind seiner Eltern. Wenn auch die Kinder Albert, Raphaël und das Kücken Fleur manchmal übersehen, daß ihre Eltern nicht nur die bestimmenden Deppen sind, sondern richtige Menschen mit eigenen Ansprüchen und Bedürfnissen. Wenn Albert als erster der Drei das Haus verläßt, um zu studieren, nimmt das große Abschiednehmen Konturen an. Es ist eine Trennung von vielem: Die 80er werden zurückgelassen, die Gitarre verstaubt, der Hund Ulysses wird begraben und David Bowie auch langsam alt, die Kinder werden flügge und das Vakuum der blassen 90er von einer Zeit der Fremdbestimmung abgelöst – nicht mal mehr rauchen darf man heutzutage ...

C’EST LA VIE erzählt in drei Dekaden von den hohen Erwartungen, die man in einer Familie manchmal direkt, manchmal auch unausgesprochen aneinander hat. Robert wird noch immer von seinem alten Vater runtergemacht, weil er es nur zum Taxifahrer schaffte und anders als der Alte so gar nix von Wein versteht, die Mutter schnüffelt im Tagebuch der Tochter, die schwer darunter leidet, daß man ihren Geburtstag vergessen hat. Es geht immer wieder um Verletzungen, die aber – und das bringt Rémi Bezançon trefflich rüber – auch Chancen bergen. So entsteht eine tolle Nähe zwischen dem Großvater und Raphaël, Fleur wird erkennen, daß Familie nicht nur Gefühle zerstört, wenn sie auch oft auf die Probe gestellt werden, und letztendlich wird dem Nachwuchs klar, daß man es sich schon etwas leicht machte, in dem man einst die Eltern in zwei Lager teilte: Die einen hören Doors, die anderen Moustaki ... Über den klug miteinander verwobenen Detailblicken lauert eine tiefe Sehnsucht nach diesem verglorifizierten Früher. Das gibt’s aber nicht mehr, leider, zum Glück! Mit diesem Gefühlsschwanken entpuppt sich der Film als authentisch, da fühlt man sich – in allen Schicksalsbeben – als Zuschauer verstanden, umarmt, beschützt. Und bestätigt: Denn nur in glücklichen Familien, also dort, in denen noch etwas „passiert“, wird viel geweint. Und das nicht nur aus Traurigkeit.

Für eine solche Geschichte hat Bezançon auch die richtigen Darsteller gefunden, allen voran Jacques Gamblin als Vater, der schon das Zentrum des Films darstellt, weil sich an ihm vieles ausmessen läßt, weil er am Ende die Familie auf eine neuerliche emotionale Probe stellt. Gamblin spielt diesen Mann wie ein etwas jüngerer Montand, mit Starrköpfigkeit, mit viel Gefühl, mit Lässigkeit und mit breitem Lachen, als er seinen Jungen zum Luftgitarrencontest begleitet. An ihm, an Roberts Schicksal, an Gamblins facettenreichem Spiel, läßt sich die Quintessenz der bewegenden Familiengeschichte ausmachen: Es geht um Prioritäten im Leben, die man haben muß, und gleichsam geht es darum, daß man immer wieder auf sie pfeift. Das Leben kennt eben keinen Fahrplan.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.