Originaltitel: C’MON, C’MON

USA 2021, 114 min
FSK 6
Verleih: DCM

Genre: Drama

Darsteller: Joaquin Phoenix, Gaby Hoffmann, Woody Norman

Regie: Mike Mills

Kinostart: 24.03.22

5 Bewertungen

Come On, Come On

Empathisch, stilbewußt und garantiert phrasenfrei

„Bla, bla, bla!“ Oh Mann, dieser Jesse kann echt nerven. Und das vor allem dann, wenn er mit hemmungsloser Offenheit auf die Phrasen, auf die Worthülsen, die man beim Reden doch ganz selbstverständlich verwendet, sofort mit einem demonstrativ gelangweilten „Bla, bla, bla!“ reagiert. Hat der Kerl nicht begriffen, daß nicht nur zur Höflichkeitskonversation, sondern auch zur seriösen Kommunikation das Praktizieren von Allgemeinplätzen einfach dazugehört? Einen zivilisatorischen Standard darstellt?

Nö, hat er nicht. Jesse ist ja auch erst neun. Und intelligent. Und selbstbewußt. Und ein wenig neurotisch auch. Und der Sohn von Viv und Paul. Und der Paul wiederum, der leidet unter einer bipolaren Störung, die gerade wieder mit grausamer Kraft losbricht. Weshalb, während sich Viv um Paul kümmert, sich Vivs Bruder Johnny um Jesse kümmert. Johnny, der selber keine Kinder und zu seiner Schwester ein eher angespanntes Verhältnis hat. Nach den Gründen für das eine wie das andere fragt ihn Jesse. Und duldet auch hier als Antwort einfach kein Bla-bla.

Man kann das getrost so sagen: Es gibt zur Zeit keinen besseren, das heißt empathischeren Regisseur für das Ausloten komplexer familiärer Strukturen als Mike Mills (THUMBSUCKER, BEGINNERS, JAHRHUNDERTFRAUEN). Und das meint dezidiert auch Fragen des inszenatorischen Formbewußtseins. Welche Reife dieses bei Mills inzwischen erreicht hat, läßt sich jetzt an seinem neuen Film COME ON, COME ON bestens bewundern.

In Schwarzweiß gedreht, offenbart sich hier ein kleines Meisterwerk des zirkulierenden Erzählens und der unaufdringlich installierten, klug miteinander korrespondierenden Metaebenen (Literatur, Psychologie, Musik), die ihrerseits einen Kontrapunkt, wenn man so will, ihre Erdung im Dokumentarischen durch jene Interviewsequenzen erfahren, die Johnny, seines Zeichens Radiojournalist, für ein Feature mit Kindern von Immigranten macht.

„Man muß herausfinden, wie man sich findet.“ sagt eins dieser Kinder. Und bringt auf den Punkt, worum es in COME ON, COME ON geht. Daß zu diesem Herausfinden auch das Sich-Verlieren gehören kann, mithin das schmerzende Bewußtsein vergehender Lebenszeit, klammert Mills nicht aus. Was freilich weder ein Grund für Trübsal noch für Bla-bla ist. Von beidem ist COME ON, COME ON weit entfernt. Ein Film empathisch zugewandten, phrasenfreien Erzählens.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.