D 2006, 163 min
Verleih: Kinowelt

Genre: Drama

Darsteller: Jürgen Vogel, Sabine Timoteo, Manfred Zapatka, André Hennicke

Stab:
Regie: Matthias Glasner
Drehbuch: u.a. Jürgen Vogel
Produktion: u.a. Jürgen Vogel

Kinostart: 24.08.06

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Der freie Wille

Monströses Drama einer Entfesselung

Man kann Jürgen Vogel nicht vorwerfen, Herausforderungen aus dem Weg zu gehen. In diese hat er sich regelrecht hineingestürzt: als Mitautor und Mitproduzent, vor allem aber - so kennt man ihn - mit dem ganzen Körper, mit Rotz und Wasser, mit Gesicht und Penis. Diesmal ist das besonders riskant, denn Vogels physische Präsenz steht hier für eine krankhaft unkontrollierbare, omnipräsente Physis. Daß seine Figur Theo, ein mehrfacher Vergewaltiger, andere Facetten hat, versteht sich von allein, weil er auch Mensch ist. Und so stellt Matthias Glasners Film über Theos wiedergewonnene Freiheit nach neun Jahren Maßregelvollzug die wichtigere Frage: verstehen das die anderen, die Opfer, ja er selbst?

Statt einer Antwort bohrt sich Glasner mit der Handkamera in den beständig zwischen Hoffnung, Angst und böser Gewißheit zerrissenen Neuanfang eines Täters, der sich nicht über den Weg traut. Auch nicht, als sich Netti in ihn verliebt. Mit dem Reden haben sie es beide nicht so. Also erfährt er nichts von ihrer zermürbenden Haßliebe zum Vater, die in halbdunklen, sich nebensächlich gebenden Einstellungen angedeutet wird. Also weiß Netti nichts von den Anfangsbildern, die zeigen, wie Theo über ein Mädchen herfällt, es kaputt schlägt und kaputt vögelt. Fast wie im Thriller wird in dieser drastischen Szene Gift gesät. Es wirkt langsam aber stetig, ein Mißtrauen, das jeden mit der Kamera nachvollzogenen Blick auf einen Frauenhintern, jede nächtliche Begegnung vor einem Hauseingang der Unbefangenheit beraubt.

Glasner benutzt die permanente Beklemmung als Kleber für ein gewaltiges Dreistundendrama, das in dieser Monströsität mit seinem Thema auf gleicher Höhe liegt: ein emotional verstörender Langstreckenlauf . Auf die intellektuelle Ebene, wo dem Freigänger das ewige Gefängnis seiner Triebe antithetisch gegenübersteht, schafft es Glasner seltener. Hoch über dem Konkreten, den abbrechenden, verstockten und damit authentischen Dialogen, der ganzen städtischen Kargheit, schnappt er nach dünner Luft: eine beinahe romantische Reise, ein nichtssagender Abstecher in den Alltag der Schokoladenherstellung, ein schales "Ave Maria" aus dem Radiowecker. Nein, nur dicht über dem Boden und an der Haut seiner Figuren ist dieser Film auch ganz bei sich.

[ Sylvia Görke ]