D 2022, 97 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama

Darsteller: Bernd Michael Lade, Maria Simon, Lina Wendel

Regie: Bernd Michael Lade

Kinostart: 02.03.23

Noch keine Bewertung

Der Zeuge

Berufsverbrecher vor Gericht

Carl Schrade (1896-1974) hatte es gewußt: daß die Deutschen den Wahrheitsgehalt seiner Zeugenaussagen anzweifeln oder in sehr deutsch-moralinsaurer Spitzfindigkeit diese Zeugenschaft als illegitim diskreditieren würden. Schließlich war er, der Schrade, doch selbst ja nun auch kein so ganz unbeschriebenes Blatt, nicht wahr?

Stimmt. Schrade war Juwelenhändler – und dabei nicht immer auf legalen Wegen unterwegs. Wegen mehrerer Eigentumsdelikte wurde er 1934 verhaftet. Elf Jahre, bis zur Befreiung 1945, blieb der Mann als sogenannter „Berufsverbrecher“ in deutschen Konzentrationslagern inhaftiert. In Buchenwald, Lichtenburg, Elsterwegen, zuletzt Flossenbürg. Elf Jahre, in denen Schrade zum Opfer, aber eben auch Augenzeugen der Taten einer ganz anderen Spezies von „Berufsverbrechern“ werden sollte. Gegen diese sagte Schrade nach dem Krieg aus. Vor Gericht, unter Ägide der amerikanischen Armee. Und Auge in Auge mit den Angeklagten – mit SS-Männern, NSDAP-Funktionären, dem KZ-Arzt Heinrich Schmitz oder Ilse Koch, berühmt-berüchtigte Ehefrau des SS-Lagerkommandanten von Buchenwald, Karl Otto Koch.

Doch, das hätte ein tiefsitzender und nachhaltig wirkender Film werden können. Ein Gerichtsfilm, intensiv und nüchtern, entschlackt von den Konventionen herkömmlicher Kinodramatik. Ein Prozeßprotokoll als psychologisches Kammerspiel, eine akkurate Beobachtung. Wurde es nur alles nicht. Leider. Dabei bemüht sich DER ZEUGE um die Sachlichkeit des Protokollierens, fokussiert textlich wie szenisch auf die Aussagen des Zeugen und die der Angeklagten. Aber weil Kino kein Hörspiel ist, funktioniert das eben nicht. Oder genauer: Es funktioniert nicht, weil DER ZEUGE im Status eines Hörspiels mit Fernsehspielbildern verharrt. Regisseur Bernd Michael Lade gelingt es nicht, die innere Spannung des Geschehens heraufzubeschwören. Und das auch deshalb nicht, weil das retardierende Moment, der Spannungsknackpunkt, nämlich das In-Frage-Stellen von Schrades Glaubwürdigkeit durch die Verteidigung, erst im letzten Viertel der Handlung erfolgt. Zu spät, um dem immanenten Thema des Films gerecht zu werden: das Ringen um Glaubwürdigkeit als das Ringen um die Würde eines Menschen, der einem System ausgesetzt war, das gezielt Menschenwürde und Menschenleben zu zerstören trachtete.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.