D/Mongolei 2020, 95 min
FSK 0
Verleih: Pandora

Genre: Drama, Erwachsenwerden

Darsteller: Bat-Ireedui Batmunkh, Yalalt Namsrai, Enerel Tumen

Regie: Byambasuren Davaa

Kinostart: 29.07.21

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Die Adern der Welt

Mongolia’s Got Presence? Eine Kulturbeschwörung

Wenn ein Film „schlicht“ ist, und zwar absichtlich, kommen einem die kritischen Maßstäbe an zeitgenössisches Kino durcheinander. Woher aber das Mißtrauen in ein Bild, das meint, was es zeigt? Warum das Naserümpfen über ein Erzählen, das sich nicht schämt, etwas sagen zu wollen? Filme wie die von Byambasuren Davaa verweigern sich jenen Degustationen von Umwegen, von Bildfallen, in die man genußvoll tappt. Ihr Kino ist eines, das – bei aller Liebe zur kinematographischen Umständlichkeit – umstandslos Empathie herstellt, nämlich im unmittelbaren Vollzug.

Davaas großes Thema – bislang ihr einziges, um ehrlich zu sein – ist das Nomadenleben in der mongolischen Steppe. Wie es aus der Zeit fällt, sich an ihr festhält, mit modernen Zumutungen zurechtkommt, semidokumentarisch oder semifiktional, egal. In der Welt ihres Protagonisten, des 12jährigen Amra, übernimmt eine sich krakenhaft ausbreitende Casting-Show vorübergehend die Hauptrolle: Mongolia’s Got Talent. Das Fernsehereignis gehört zur heutigen Mongolei ebenso wie die Jurte von Amras Familie und die global agierenden Großkonzerne, die den Steppenbewohnern ihren von Goldadern durchzogenen Lebensraum abspenstig machen. Sie ist das unvermeidliche Nebengeräusch zu einer zwischen Existenznot und Abfindungsversprechen zerriebenen Kultur, die weder durch Improvisation noch durch traditionelle Kraftbäume zu retten scheint. Als Amras Vater bei einem Unfall zu Tode kommt, stirbt wohl auch die letzte Stimme gegen das Verschwinden dieser Lebensweise. Jetzt braucht der Junge all seine Talente: zum Singen, zum Widersprechen, zum Bei-sich-Bleiben.

Mit DIE GESCHICHTE VOM WEINENDEN KAMEL etablierte Davaa eine in Film übersetzte Welt- und Kultursicht, die sich ganz dem „unschuldigen“ Blick überantwortet. In den Augen eines Tierkindes, in den Augen eines Menschenkindes verschmelzen Vergangenheit und Zukunft zu einem ewig dauernden Jetzt: das gebastelte Cabrio des Vaters mit angepapptem Mercedes-Stern auf den Holperpisten des mongolischen Nirgendwo, der nachhaltige Käse in der nicht nachhaltigen Plastiktüte, der lokale Minenräuber als goldherziges Rauhbein. Die Metaphern sind simpel. Aber sie gehören zu einer Art Kino, die vielleicht besser Beschwörung denn Filmkunst genannt werden sollte. Und Beschwörungen brauchen keine Raffinesse. Sie funktionieren wie ein Sprechakt.

[ Sylvia Görke ]