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Die große Stille

Eine lange Reise zum Ursprünglichen

Mut zur Länge hatte Philip Gröning schon mal. Mit L’AMOUR schuf er einen der interessantesten deutschen Filme der letzten Jahre, der im Kino dann leider um eine halbe Stunde gekürzt lief, damit dennoch knackige zwei Stunden hatte. Seinem neuen Werk wiederum, das eher filmische Studie als "richtiges" Kino ist, hätte eine gewisse Kürzung durchaus ganz gut getan, denn Gröning beobachtet viele Abläufe in dem von ihm gefilmten Geschehen im Kloster "La Grande Chartreuse" mehrmals, vielfach, was dem Betrachter dann irgendwann nichts Neues mehr bietet. Aber so sei es nun mal, geht es hier doch vielmehr um die eigentliche Sensation und damit auch um den filmhistorischen, den dokumentarischen Wert.

Gröning ist der erste Filmemacher, der derart ausgiebig in diesem zu den strengsten Klöstern zählenden Monument filmen durfte. Und diese Chance nutzt er verständlicherweise mit aller ihm notwendig erscheinenden Akribie. So filmt er die Mönche bei ihrem ganz normalen Alltag: beim Verrichten des Gartenbaus, der Küchenarbeit, der Herstellung von Kleidung, beim Holzhacken, der häufigen Haarschur und bei der selbst in dieser Bruderschaft unverzichtbaren Buchhaltung am Computer - im ehrfürchtigen Zweifingersystem. Und neben diesen meist wortlosen Verrichtungen, bei diesem schweigsamen, insichgekehrten Tagewerk nimmt natürlich das Gebet, die vollendete Hinwendung zu Gott, großen Raum ein.

Dazwischen werden sich immer wiederholende Bibelzitate wie "Wer nicht alles hinter sich läßt, kann nicht mein Schüler sein" geschnitten. Damit entzieht Gröning - gar nicht ungeschickt - der immanenten Frage, warum Menschen zu solch einem Leben in totaler Abgeschiedenheit, zu derart mannigfaltigem Zölibat überhaupt bereit sind, irgendwie die Berechtigung. Zumindest zeitweise, denn als zwei Novizen in den Kreis der Brüder aufgenommen werden, züngelt schon wieder die Neugier. Da will man mehr über die Beweggründe, auch über die familiäre Herkunft der Mönche wissen. Doch Gröning zeigt nur die stummen Gesichter in Großaufnahme, die mitunter auch viel erzählen. Den selbstauferlegten Zwang zur Stille brechen die Mönche einmal in freier Natur: da wird schon angeregt debattiert, ob das Händewaschen vor dem Gebet nicht doch unnütz sei und damit abgeschafft werden könne. Worauf dann die Älteren müde entgegnen, daß Veränderungen der Stabilität des Klosteralltags schaden würden ...

Das von Gröning intensiv Beobachtete ist über weite Strecken durchaus interessant und läßt sich in seiner Wirkung am besten mit "meditativ" beschreiben. Und besinnlich, im Wortsinn. Denn es sind auch hier die kleinen gezeigten Dinge, die erfreuen können, da sie etwas Ursprüngliches haben: der heiße Tee, das frische Brot und der halbe Apfel. Und immer wieder diese bildliche Ruhe.

Frankreich, Schweiz, Deutschland 2002-2004, 162 min
Verleih: X Verleih

Genre: Dokumentation

Regie: Philip Gröning

Kinostart: 08.12.05

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.