Originaltitel: LA PIEL QUE HABITO

Spanien 2011, 120 min
FSK 16
Verleih: Tobis

Genre: Thriller, Drama, Psycho

Darsteller: Antonio Banderas, Elena Anaya, Marisa Paredes, Jan Cornet, Roberto Álamo

Stab:
Regie: Pedro Almodóvar
Drehbuch: Pedro Almodóvar

Kinostart: 20.10.11

19 Bewertungen

Die Haut, in der ich wohne

Almodóvar pflanzt giftiges Gestrüpp im Hinterhof der Psyche

Wenn etwas in Pedro Almodóvars Vokabular fehlt, dann das Wort „Stillstand.“ Ob schrill ein LABYRINTH DER LEIDENSCHAFTEN bauend, das Meisterstück ALLES ÜBER MEINE MUTTER fabulierend oder mit VOLVER eine berstend pralle Ode an das Weibliche komponierend: Stets erfand der Spanier das Kino neu, stellte sogar in etwas weniger starken Werken wie ZERRISSENE UMARMUNGEN Individualität über Erwartungen. Dennoch beweist Almodóvars Œuvre Treue zu sich selbst; und beides gilt ebenso für den vorliegenden Film, welcher sein brutalster wurde – jedoch nicht nur, weil des Regisseurs Lieblingsfarbe Rot hier oft die von Blut ist.

Auch deswegen sollte man der Handlung unvorbereitet ausgeliefert sein, daher kurz: Hinter schweren Toren liegt die Schönheitsklinik von Professor Ledgard, der sich voyeuristisch lauernd, mittels riesiger Bildschirme beobachtend seiner einzigen Patientin Vera widmet. Sie: jung, schön und nicht freiwillig zugegen. Ihrer Gefangenschaft sucht Vera durch Suizid zu entkommen; aber Ledgard eilt zur Rettung – oder Verlängerung des Martyriums. Und schließlich geistert noch Haushälterin Marilia umher, eine menschliche Banshee mit gequältem Blick. Sie trägt „den Wahnsinn in ihren Eingeweiden“ und rät Ledgard, Vera zu töten.

Zu diesem Zeitpunkt hat allein schon Alberto Iglesias’ selten so pulstreibend durch die Soundanlage kriechende Musik klargestellt: Das Morbide, Marode und Verwundete hat hier längst die Macht ergriffen, es lauert hinter verschlossenen Türen und nicht zuletzt in den Figuren, welche einsam und gleichzeitig einander verbunden glühend besohlt auf dünnem Eis schlittern. Das inszeniert Almodóvar in passender Kälte, sterilem Ambiente – natürlich großartig anzusehen und bloß scheinbar emotionslos. Denn unter der frostigen Fassade lodern Scheiterhaufen aus Schuld, lebensnegierender Traurigkeit und zum Zerstören bereiter Liebe. Rasende Feuer, die ihre Opfer Ledgard, Vera und Marilia metaphorisch zur Unkenntlichkeit verbrannten. In einem anderen Fall gilt das wortwörtlich.

Wie sich letzterer Handlungsstrang einfügt, darüber informiert der Film in schlaglichtartiger Eile, legt dabei Wunden frei, wühlt Tragödien hoch, läßt Leichen sowohl im Geist der Protagonisten als auch real zurück. Dann vollführt der Plot eine Wende, wechselt die Zeitebene und enthüllt sukzessive ein schockierendes Geheimnis, dessen Schlüssel Vera verkörpert. Almodóvar nutzt es, um persönliche Lieblingsthemen wie Identität, Geschlechterrollen oder das Mutter-Motiv derart perfide zu verdrehen und zu überspitzen, bis jeder vermeintlich harmlose Satz einer Operation am offenen Herzen gleicht; ohne Narkose und unter Verwendung stumpfer Skalpelle.

Das beim Eingriff assistierende Ensemble, unter dem sich mit einem erstaunliche darstellerische Präsenz beweisenden Antonio Banderas sowie Almodóvars unverändert faszinierender Ex-Muse Marisa Paredes zwei Besetzungscoups finden, trägt mutig agierend dazu bei, daß DIE HAUT, IN DER ICH WOHNE den ganzen Horror humaner Gefühle seziert – bis zum vielleicht gar als bitterböses Happy End begreifbaren Schlußbild.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...