Noch keine Bewertung

Die Reise des chinesischen Trommlers

Faszinierender Genre-Mix als große Kinopoesie

Die Grundzüge der Geschichte sind an sich oft erprobte: Ein Hansdampf spielt mit dem Feuer, verbrennt sich die Finger und muß abtauchen. In der Fremde lernt er eine komplett andere, nicht aufs Pekuniäre orientierte Welt kennen, am Ende findet er zu sich und seine wahre Bestimmung. Das ist auch die grundlegende Idee dieser Geschichte um den Heißsporn Sid. Und trotzdem geht der noch junge Regisseur Kenneth Bi neue und dabei sehr faszinierende Wege. Er erzählt seine Geschichte einer Renaissance nämlich quer durch die Genres, vom Gangsterepos in eine Studie der Sinnlichkeit, vom Vater-Sohn-Konflikt in eine sanft angerissene Liebesgeschichte, von der Großstadtballade in eine Elegie der Natur. Bi tut dies mit einer Versiertheit, die in der Tat gerade für einen Nachwuchsfilmer verblüfft.

Sid ist einer, der nicht lang fackelt, was kostet schon die Welt? Also ran an die Buletten und die schöne Sina, was sich als kopflos erweist: Denn Sina ist zum einen ein ziemlich berechnendes Luder und außerdem schon mit dem ungleich älteren Ma liiert. Und dieser Ma hat nicht wenig zu melden in der Hongkonger Unterwelt. Streß ist vorprogrammiert, Ma verlangt von Sids Vater, der dem Gangsterboß viel verdankt, eine Geste der Wiedergutmachung: Sids Hände. Keine guten Aussichten für den passionierten Schlagzeuger, Sids Vater schützt seinen Jungen und schickt ihn nach Taiwan. Für eine kurze Zeit hält Sid die dauerlässige Pose aus Kaugummi, zerwusseltem Haar und Jeans auf halb 8 noch aufrecht, bis er eines Tages ein Geräusch hört, das ihn berührt, das ihn nicht wieder losläßt, welches sein Leben verändern wird: In den Bergen probt eine Gruppe Zen-Trommler ...

Und dieser Wandel im Leben des jungen S. ist ein ganz glaubwürdiger, weil sich die Großklappe natürlich nicht ad hoc in einen Taomönch verwandelt, Sid muß sich die Integration in die Gruppe hart erarbeiten: Wasser schleppen, Benzin besorgen, sich aufs ganz schlichte Leben umstellen. Statt einer Selbstverständlichkeit wie Elektrizität geht es um das Erfühlen der Natur, des Echten. Also Dreck unter den Nägeln statt Coke aus dem Kühlschrank. Und am Ende wird er das Leben spüren, sich richtig verlieben, die Erde erfühlen. Was sich märchenhaft liest, wird hier nachvollziehbar, behutsam und dabei nicht ohne Humor erzählt: Der Großkotz Sid muß es natürlich gleich an mehreren dieser beeindruckenden, teils gigantischen Trommeln versuchen ... und versagt. Und auch der bereits erwähnten Liebelei geht eine teils amüsante und ein wenig an KILL BILL erinnernde Szene voraus, denn die schöne Trommlerin Hong Dou hat es nicht nur in den Armen, die Gute weiß auch ordentlich zu treten. Hier legt Bi in fast stillen Momenten noch mehr Charakterzüge seiner Hauptfigur frei, die sich als Freund kleiner Hunde erweist, als ein Mensch, der beginnt, Dinge zu hinterfragen. Die dynamische und herzpochende Musik, die die Zen-Trommler aufführen und damit viele Menschen erreichen, bringt eben all das bestens zum Ausdruck, was eine Figur wie diesen jungen Wilden ausmacht: das Schöne, das Brutale, das Kopflose, das Mitfühlende, das Aggressive, das Mildglänzende – das Menschliche halt, in all seiner Widersprüchlichkeit. Und das hat man so poetisch im Kino ganz selten erzählt.

Eine schöne, berührende Metapher gelingt Bi, wenn er das Thema von Gefangenschaft und Freiheit bebildert: Sohn und Vater erhalten im Gegenschnitt eine Kurzhaarfrisur, der eine als sich beweisender Trommler, der andere als sich Bewährender im Knast. Dort wird der Vater auch erstmals die neu erlernten Künste seines Sohnes zu Gehör bekommen. Und wenn er dazu nicht ohne Stolz meint „Man hört und vergißt“, dann hat er trotzdem nur teilweise Recht ...

Originaltitel: ZHAN.GU

HK/Taiwan/D 2007, 118 min
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama, Musik, Gangster

Darsteller: Jaycee Chan, Tony Leung

Regie: Kenneth Bi

Kinostart: 01.01.09

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.