Originaltitel: DORAIBU MAI KÂ

J 2021, 179 min
FSK 12
Verleih: REM

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Hidetoshi Nishijima, Reika Kirishima, Masaki Okada, Tôko Miura

Regie: Ryûsuke Hamaguchi

Kinostart: 27.01.22

3 Bewertungen

Drive My Car

Ganz sanft das eigene Selbst hervorzerren

Hamaguchi Ry?suke gibt sich ganze 40 Minuten Prolog, um sein Roadmovie einzuführen, das langsam einen Sog entwickelt. Er entwirft das Bild einer intensiven Beziehung: Oto und Y?suke, ein Künstlerpaar um die 50, sie Drehbuchautorin, er Theaterregisseur. Sie leben in Tokio, in einer Wohnung, die aus dem MUJI-Katalog stammen könnte, mit ihren reduzierten Farben und zurückgenommenen Möblierung. Es gibt nichts offenkundig Grelles in ihrem Leben. Muß er neue Rollen lernen, spricht sie ihm die Dialoge des Gegenparts auf Band, nach dem Sex sprudeln aus ihrer tiefsten Seele Phantasien, die in neue Drehbücher münden. Er nimmt unausgesprochen hin, daß sie mit anderen Männern schläft. Und nur sehr kurz wird angerissen, daß beide einen großen Verlust erlitten haben. Die Verbindung zwischen Oto und ihm scheint unantastbar. Dann stirbt Oto überraschend und Ry?suke schickt Y?suke auf die Reise.

Er läßt den Regisseur in Hiroshima ankommen, wo er auf einem Theaterfestival Tschechows „Onkel Wanja“ inszenieren soll. Laut der Regularien des Festivals darf er nicht selbst sein Auto steuern, sondern bekommt eine Fahrerin zugeteilt. Y?suke ist nicht begeistert von der Idee, daß die junge Misaki seinen geliebten Saab fahren soll, außerdem ist ihm die Zeit unterwegs heilig. Seine Methode ist es, den Rhythmus eines Textes zu erfassen, sich von ihm „befragen zu lassen“, um ihn dann zu inszenieren. Oder kann er sich einfach ein Leben ohne Otos Stimme auf Band nicht vorstellen? Und dann sitzt plötzlich auch noch Kôji, Otos jugendlicher Liebhaber und medialer Glamourboy, beim Vorsprechen.

Stilsicher weiß Ry?suke die Murakami-Haruki-Vorlage so zu interpretieren, daß sich ein gefühlsmäßiger Free Jazz, changierend zwischen fernöstlichen und westlichen Einflüssen, entfaltet. Genau wie Y?suke den Tschechow mit klassischem Bühnenbild, aber in diversen Sprachen umsetzt – die Schauspieler sprechen ihre Dialoge auf Japanisch, Mandarin und in Gebärdensprache und verstehen sich eigentlich nur auf einer emotionalen Spielebene – scheint auch Ry?suke in seinem Film den Gehalt des gesprochenen Wortes zu hinterfragen. Große Gesten und Konflikte sind ihm nicht wichtig. Er trägt Schicht für Schicht die Hüllen seiner Charaktere ab, legt ihren „dunklen Strudel“ frei. So passiert in der Annäherung zwischen Regisseur und Chauffeurin, auf den gesichtslosen Straßen, in den Tunneln, fast im Vorbeiziehen, die Katharsis, die es für beide braucht, um weiterleben zu können.

[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...