D 2022, 96 min
FSK 12
Verleih: Farbfilm

Genre: Dokumentation, Biographie

Stab:
Regie: Claudia Müller
Stimmen: Ilse Ritter, Sandra Hüller, Stefanie Reinsperger

Kinostart: 10.11.22

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Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen

Ein Elesean Regung

Wer von Elfriede Jelinek nicht viel mehr weiß, als daß sie irgendwas mit Literatur macht, kann leicht in die Irre gehen. Denn glaubt man manchen ihrer Landsleute, vermittelt sich der Eindruck, diese Frau Jelinek produziere Bücher zu keinem anderen Zweck, als sie ahnungslosen Mitösterreichern in die Fresse zu hauen. Daß ihr notorischer Vandalismus 2004 auch noch mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, war eine Kränkung, die ihr vor allem die Nationalkulturhüter von der FPÖ nicht verzeihen konnten. „Keine literarische Wertigkeit“, urteilte etwa Jörg Haider, die inzwischen verloschene Lichtgestalt und womöglich größte aller Leseratten der Freiheitlichen.

Woher Jelineks Vandalismus kommt, warum die einen in ihm aufregendste Musik erlauschen und die anderen rach- und raufsüchtige Hysterie, erkundet Claudia Müller in diesem dokumentarischen Literatinnenporträt – das eigentlich ein Gruppenbildnis ist: die Künstlerin, ihre Wut, ihre Verletzlichkeit, ihre Sprache und ihr Österreich. Ältere und neuere Interviewpassagen im On wechseln mit rezitierten Fragmenten aus Jelineks Texten im Off. Sie legen sich auf Archivmaterial, Kinderfotos, Fernsehaufnahmen. Beschneite Wipfel der Beschaulichkeit, beschämende Spuren von Austrofaschismus, Austrorassismus, Austrotümelei. Haider beim Jodeln, Waldheim beim Lügen, Greisinnen beim Nichts-Wissen über die Juden. Ein Stück Gespräch aus der Sendung „Literarisches Quartett“, in dem Marcel Reich-Ranicki sich aufgebracht an Sigrid Löffler wendet, die „als Frau und Österreicherin“ doch nun erklären können müsse, was mit dieser Frau und Österreicherin Jelinek los sei, daß die den schönen Geschlechtsverkehr so in den Schmutz ziehe.

Richtig, Beschmutzerin, Nestbeschmutzerin. Dieser Vorwurf begleitet Jelinek fast so lange, wie sie schreibt. In dieser ebenso gewagten wie gewieften Dokumentarmontage kann man den Dreck nun sehen und hören. Vor allem aber wird man herausfinden, daß sie ihn nicht wirft, sondern aufkehrt – aus den Floskelritzen und Gedächtnislücken ihrer Heimat. Dann nimmt sie ihn in den Mund, kaut darauf herum und spuckt aus: klarste, präziseste Sprache, die Macht- und Gewaltstrukturen in jedem Zeilenumbruch mitvollzieht. Manchmal speit sie sogar seichte Witze. „Macht nichts“, sagt sie dann, „lesen Sie mich trotzdem.“

[ Sylvia Görke ]