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Frühling, Sommer, Herbst, Winter ... und Frühling

Nach DIE INSEL Kim Ki-duks neuerlicher Rausch der Bilder und Sog der Gefühle

Ein Tor öffnet sich mit der knarzenden Eleganz alter Theatervorhänge. Was uns dahinter erwartet und in seiner schlichten Schönheit staunen läßt, könnte ebenfalls zum Leben erwachte Bühnenkulisse sein. Ein großer See, dessen Stille zwar malerisch, aber ebenso Unheil dräuend scheint, darauf ein Holzhaus mit diesen schwungvollen Dachgiebeln, wie die Asiaten einst ihre Häuser bauten.

Ein älterer Mönch und sein Schüler leben auf diesem Eiland, zum Kräutersammeln fahren sie mit dem Boot ans Ufer. Der Rest der Welt bleibt beiden fremd. Der Alte erzieht den Jungen so effektiv wie nötig, das Leben - wenn auch in der Kapsel - soll den Knaben lehren.

Das Tor, quasi die Verbindung von der lauschigen Stille zum Toben der Welt, öffnet sich im Wechsel der Jahreszeiten, die Bäume blühen, glänzen, ermatten, entlauben und werden schließlich wie die den See umgebenden Gebirgszüge winterlich weiß. Der Junge wird erwachsen und zum Mann. Denn ein Mädchen aus der Stadt wurde den beiden gebracht, um es mit heilenden Kräutern von seinem Leiden zu kurieren. Nicht nur die Krankheit wird besiegt, auch die Unschuld des Jungen genommen. Er verliebt sich unsterblich in das blasse Mädchen, das Herz wird ihm untragbar schwer, als es ihn verlassen muß. Der Alte warnt und mahnt: Liebe weckt Begierde. Und Begierde bedeutet den Tod. Der Junge kann nicht auf ihn hören und verläßt den väterlichen Alten. Der jedoch weiß, wovon er spricht ...

Kim Ki-duk hat schon einmal für sein opulentes Kinogemälde DIE INSEL eine pittoreske Seenlandschaft zum Ort des dort blutigen Geschehens gemacht. Nun kehrt er in die Einsamkeit zurück und verblüfft erneut mit einer Geschichte, die so jenseits einer klar auszumachenden Zeit angesiedelt scheint. Was man als zyklisches Puzzle der Lebenselemente Geburt, Tod, Liebe, Begierde, Trauer, Schmerz, Weisheit und Wut abhandeln könnte, gelingt ihm zum Gesamtkunstwerk, zum raren Kinoluxus. Sein Mittel ist - bei aller atemstockenden Bildgestaltung, der hochsensiblen Musikeinspielung und der so kühnen Charakterisierung seiner Figuren - die Kargheit. Er interessiert sich für die Werte der Alten und die Unerschrockenheit der Jungen, wobei er schon jetzt durchschaut, daß sich all das nicht trennen läßt, daß jede Existenz einen von der Stunde der Geburt beginnenden und am Tage des Todes (vielleicht) endenden Kreislauf bedeutet, einen unaufhaltsamen Prozeß des Erfahrens, ein mitunter schmerzvolles und tragisch drehendes Erfahrungskarussell. Das Ende ist immer auch ein Anfang und ein Anfang oft trügerische Illusion, die einen stolpern und Balance halten läßt.

Ki-duk verflicht den Spagat zwischen Lebensweisheit und jugendlicher Kopflosigkeit zu einem filmischen Rausch, wie er selten, wenn nicht gar bisher einmalig ist. Seine Bilder erzeugen einen Sog, seine subtil eingesetzte Spannung, seine außerordentlich klug durchdachte Geschichte, die nichts vorherahnen läßt und in den letzten Filmmetern noch verblüfft, könnten Gründe sein, warum man das Kino einst erfand.

Originaltitel: BOM, YEOREUM, GAEUL, GYEOWOOL, GEURIGO, BOM

Korea/D 2003, 103 min
Verleih: Pandora

Genre: Drama

Darsteller: Oh Young-Su, Kim Young-Min, Kim Ki-Duk

Regie: Kim Ki-duk

Kinostart: 18.03.04

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.