DK/D 2019, 87 min
FSK 0
Verleih: Grandfilm

Genre: Drama

Darsteller: Lisa Loven Kongsli, Jakub Gierszał, Maren Eggert

Regie: Anna Sofie Hartmann

Kinostart: 06.08.20

1 Bewertung

Giraffe

Kein Savannengras gegen gewachsen

Gut möglich, daß man im Nachgang jeder Krise sagen wird, sie habe eine Zeit der Kontemplation eingeläutet, eine Hochphase der inneren Einkehr. Sollte das so sein, dann hätte der Film GIRAFFE gute Karten, auf reichlich Gegenliebe zu stoßen. So ruhig und auf den ersten Blick wenig spektakulär ist alles, was hier passiert.

Im Mittelpunkt dieser Kargheit steht die Ethnologin Dara, welche im dänischen Flachland unbewohnte wie bewohnte Häuser, teils Baurelikte des 19. Jahrhunderts, aufsucht und deren Geschichten dokumentiert. Mal von den Noch-Bewohnern, mal aus zurückgelassenen Tagebüchern. Der Grund: Bald kommen die Bagger und machen alles platt. Der Fehmarnbelttunnel, ein unterseeischer Giraffenhals von knapp 18 Kilometern, soll bis 2028 Fehmarn und die dänische Insel Lolland verbinden. Mancherorts wird da kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Eine Gegend, deren vordergründiges Charakteristikum bisher die Abgeschiedenheit war, wird zukünftig als interkultureller Verkehrsknotenpunkt herhalten.

Womit wir beim seltsamen Filmtitel und dessen (möglicher) Bewandtnis wären. So wie das Leben in Lolland bald ein ganz ungewohntes sein wird, lebt es sich auch für die Giraffe im Zoo ganz unheimisch. Nicht zuletzt Lucek und seine Bauarbeiterkollegen können dieses Leben in ungewohnter Umgebung gut nachvollziehen, seit sie zwecks Faserkabelverlegung für das Tunnel-Ungetüm eigens aus Polen hergekommen sind.

Die Erfahrung mit dem seiner Wurzeln Entrissenen ist das verbindende Element zwischen Dara und dem anderthalb Jahrzehnte jüngeren Lucek. Die eher zufällige Begegnung auf einer Brücke mit flüchtig ausgetauschten Blicken stellt den Beginn einer Affäre dar, deren romantische Spannung diffus bleibt und doch absolut authentisch wirkt. Auch hier verläuft das Geschehen gemächlich und ohne größere Zuspitzungen. Der Genuß besteht vielmehr darin, den Metaphern und Codierungen von Regisseurin Anna Sofie Hartmann zu folgen, ihre feinen und niemals affektierten Bildkompositionen zu bestaunen und über den fließenden Übergang zwischen fiktionalem Stoff und Doku regelrecht verblüfft zu sein. Ja, die Geschichten hinter den zu räumenden Häusern sind teilweise genauso real, wie es der Tunnel bald sein wird. Statt Schauspielern kommen da gern mal Zeitzeugen zu Wort. Ein echter Hybrid-Film.

[ Hieronymus Hölzig ]