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House Of Boys

Leidenschaftlicher Brückenschlag von leichthändiger Milieuskizze zum großen Liebesdrama

Es gibt Filme, denen steht der Titel zunächst so ein bißchen im Wege. Bei diesem hier zum Beispiel vermutet man doch eher etwas schlüpfrige, auf die kalkulierbaren Sehgewohnheiten des durchschnittlichen Schwulenpornokonsumenten zugeschnittene Konfektionsware – und wird überrascht. HOUSE OF BOYS ist ein richtiger Film, der weit ausholt, ein gewaltiges Rad vom Einblick in eine Subkultur zum ganz großen Drama schlägt und am Ende dem Zuschauer das Herz aufwühlt, der zu knalligem 80s-Soundtrack schwül-schrill-burlesque Elemente mit einer Wagenladung Gefühl vermischt. Und ja, das funktioniert! Und ja, das muß man sich erst einmal trauen!

Jean-Claude Schlim lockt zunächst auf die falsche Fährte, als er den semmelblonden Jungen Frank im Jahre 1984 gegen alle Konventionen sein schwules Coming Out ausleben und der Provinz den Rücken kehren läßt. Zuhause war es eh kaum auszuhalten mit den konservativen Eltern und diesem heimlichen Masturbieren unter Wham!-Postern. Er mußte raus, und so landet er – vermutet man zunächst – auf der schiefen Bahn, als er in Amsterdam in einem Club anheuert, der „House Of Boys“ heißt, wozu man nicht viel erklären muß. Aber: Frank arbeitet sich vom Barmann zum Vortänzer hoch – und verliebt sich. In Jake. Zum Mißfallen von Madame. Ihr geht es allein ums Geschäft, und das hat eben mehr mit Illusionen als wahrer Liebe zu tun.

Doch Frank und Jake werden ein Paar, eine leidenschaftliche Beziehung nimmt ihren Lauf, aber auch eine schwierige. Jake verkauft seinen Körper an solvente Herren, versteht sich selbst aber bisher als Hetero. Nun gut, daran kann man arbeiten ... Jedoch schlägt das Leben den beiden Jungs dann so richtig fies ins Gesicht: Jake hat Aids. Und hier gelingt Schlim das Kunststück, eine leichthändig hingetupfte Milieuskizze zum ganz großen Liebesdrama und austarierten Zeitporträt zu vollenden. Schlim verläßt die Clubs, die Drogen, die Welt von bunten Pillen und billigen Ficks auf dreckigen Klos, er unterzieht Frank der vielleicht größten Prüfung eines Lebens – dem sterbenden Geliebten zur Seite zu stehen. Und da verwandelt sich der Junge: Aus dem süßen Schweighöfer-Look-A-Like wird ein ernsthafter, vom Leben geprüfter Mann, der seinen Platz, seine große Liebe gefunden hat – und dazu gehört es einfach, daß man in der schwersten Stunde am Bett des Freundes weilt. Diese Figurenzeichnung gelingt Schlim glaubwürdig, überhaupt hat er ein Händchen, Jake und Frank interessante, skurrile und teils abenteuerlich aufgemotzte Nebencharakteren zur Seite zu stellen. Allen voran natürlich Madame, von Udo Kier gegeben, der so richtig aufs Gas drücken darf – mal in einer Klaus-Nomi-Performance, dann als die Knef mit roten Rosen und generell mit allem, was Glamour so braucht. Der Milchbubi Angelo wäre noch zu erwähnen, der das im „House Of Boys“ verdiente Geld in eine Geschlechtsumwandlung steckt – jeder sucht sein Kätzchen in diesem Blick auf das Ende eines Easy Going.

Faszinierend an HOUSE OF BOYS ist genau dieser campe Mix aus schrillem Tamtam, Popperparties und den auch zahlreichen Heulmomenten. Gerade zu solchen kommt es definitiv, wenn die Jungs zur letzten gemeinsamen Weihnacht anstoßen: „Auf unsere Träume!“ Oder wenn Frank in den letzten Minuten seinen sterbenden Freund unter Tränen anfleht, doch endlich loszulassen ...

Originaltitel: HOUSE OF BOYS

D/Luxemburg 2009, 113 min
Verleih: Filmlichter

Genre: Schwul-Lesbisch, Drama, Liebe

Darsteller: Layke Anderson, Benn Northover, Udo Kier

Regie: Jean-Claude Schlim

Kinostart: 02.12.10

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.