D/Serbien 2019, 105 min
FSK 6
Verleih: Piffl

Genre: Drama, Experimentalfilm

Darsteller: Maren Eggert, Jakob Lassalle, Clara Möller, Franz Rogowski, Lilith Stangenberg

Regie: Angela Schanelec

Kinostart: 15.08.19

2 Bewertungen

Ich war zuhause, aber …

Wider die Illusion einer Realitätsabbildung

Phillip taucht nach einer Woche wieder auf. Wir erfahren weder, warum er gegangen ist, noch wohin. Doch von vorne: Am Anfang dieser Geschichte steht das Tier. Doch auch hier herrscht Unklarheit, wenn wir mit Hase, Hund und Esel eine lange Zeit still im Stall verharren, die im weiteren Verlauf des Filmes keine Rolle mehr spielen. Unwissend, wie auch der Esel im Dunklen aus dem Fernster zu blicken scheint, gehen wir also in diesen Film, und im Fortlauf der Szenen wird klar: Regisseurin Angela Schanelec geht es nicht um eine gesteuerte Aussage oder Filmlogik, in der Szene auf Szene folgt und folgen muß, damit sich daraus eine plausible Narration ergibt, sondern um Assoziationen und Irritationen. Feine Distanziertheit und humorvolle Mystifikation prägen dieses Filmerlebnis, das uns mit seinem faszinierend ruhigen Rhythmus einsaugt.

Wenn man eine Haupthandlung finden möchte, beginnt diese nach dem ausschlaggebenden Ereignis – dem Verschwinden des Jungen Phillip. Das ausagierte Innenleben der Mutter Astrid wird zum Schwerpunkt von ICH WAR ZUHAUSE, ABER ... Der banale Alltag geht weiter, Astrids Sorge, ihre Wut und Trauer treten ans Licht. Auch hier verschiebt sich eine Konvention. Weder lernen wir Phillip mehr kennen, er zeigt sich in nur wenigen Szenen in seiner stillen Präsenz, noch bleibt der Fokus auf der Hauptfigur Astrid, denn plötzlich folgen wir einem Pärchen, Phillips Lehrer und dessen Freundin, die ihre Beziehung aushandeln.

In ICH WAR ZUHAUSE, ABER … sehen wir kein naturalistisches Schauspiel. Gezeigt wird das Ausformulieren von Gesten, wir erleben eine bewußte Theatralik, gestelztes Aufsagen von rohen Sätzen. Schauspiel als Thema: Phillip probt mit seinen Klassenkameraden Shakespeares „Hamlet“. Das Spiel wird vorgetragen, zur Schau gestellt. In einem Nebensatz erfahren wir vom Tod von Phillips Vater. Wir sehen viele Szenen, in denen Astrid ein gebrauchtes Fahrrad kauft und es wieder zurückgeben will, da es nicht funktioniert. In welcher Wahrheit befinden wir uns hier? Wird hier die Sauberwelt eines bürgerlichen Lebens in der großzügigen Berliner Gründerzeitwohnung angekratzt? Die teilnahmslose Kamera läßt kein Urteil zu, vielmehr irritieren die Einstellungen als lose Gedanken, aus denen eine Komik erwächst, die dem Publikum Projektionen entlockt und auf den Bedarf einer Interpretation hinweist, die mit jeder Geschichte einhergeht.

Hier werden die Themen Verlust und Tod berührt, es wird nach Wahrheit gesucht und Sehnsucht gefunden, ein Gehenlassen in sprechenden Bildern voll alltäglicher Melancholie. Das Leben erklärt sich hier nicht, denn es läßt sich nicht spielen. In ICH WAR ZUHAUSE, ABER … erstreckt es sich in seiner ganz eigenwilligen Wirklichkeit. Lange Einstellungen zeigen Menschen in weiten Bildräumen, sie blicken, Kultur und Natur. Die Sprache des klassischen, filmischen Erzählens verstummt und erfährt in ihrer Zersetzung eine herausfordernde Selbstermächtigung, die uns auffordert, die Fragmente eines Lückentexts eigens zu samplen.

[ Katharina Wittmann ]