Originaltitel: AUGUST: OSAGE COUNTY

USA 2013, 121 min
FSK 12
Verleih: Tobis

Genre: Drama, Familiensaga

Darsteller: Julia Roberts, Meryl Streep, Ewan McGregor, Chris Cooper, Juliette Lewis, Abigail Breslin, Benedict Cumberbatch, Sam Shepard

Regie: John Wells

Kinostart: 06.03.14

4 Bewertungen

Im August in Osage County

Freunde kann man sich aussuchen

„Das Leben ist sehr lang.“ Der emeritierte Schriftsteller Beverly zitiert whiskyschwer den Kollegen T.S. Eliot zu Beginn dieses wuchtigen Familiendramas, und der Volksmund möchte hinzufügen: „Unter jedem Dach ein Ach!“ Daß das Haus unter diesem schon mal bessere Zeiten gesehen hat (und im Fortlauf des Films erfahren wir von noch schlechteren), wird sofort klar, als Violet auftaucht: von Krankheit heimgesucht, durch Bitterkeit gezeichnet, mit Pillen zugedröhnt. Sie findet beleidigende Worte für Bev, der Flucht in den Büchern sucht und bald ganz verschwindet, für die neue Haushaltshilfe und für ihre Tochter Ivy, der sie das Aussehen einer Lesbe attestiert. Ivys Schwestern Karen und Barbara fahren ebenfalls zur Mutter, als sie erfahren, daß der Vater verschwunden ist. Als dieser tot aufgefunden wird, kommen Onkel, Tanten und Neffen hinzu, um Abschied zu nehmen. Ein Abschied als Präludium einer Abrechnung.

Welch’ Wohltat, daß hier eben nicht auf die gern gewählte Süßlichkeit amerikanischer Familienzusammenkünfte mit schnulzigen Anekdoten und zuckrigen Erinnerungen gesetzt wurde. Hingegen bewahrheitet sich kompromißlos, daß man Freunde sich aussuchen kann, Familie hingegen ... Allein die Schwestern: Barbara, die älteste, hat handfeste Eheprobleme, nachdem ihr Mann mit einer rummacht, die gut im Alter ihrer Tochter sein kann, Karen träumt unbeirrbar von einer Kitschhochzeit in Belize, egal, daß sich ihr schmieriger Liebhaber bekifft an die Nichte ranmacht, und Ivy schließlich, das Nesthäkchen, trägt ein Geheimnis mit sich, das bei weitem nicht das letzte in dieser Bande ist.

Der Leichenschmaus wird zum Feuertanz. Dafür sorgt schon Violet, die selbst dann, wenn die Up-And-Downers mal ihre Wirkung verfehlen, von einer zügellosen Traurigkeit, die sich längt in unbändige Wut und Boshaftigkeit gewandelt hat, gezeichnet ist, daß man jederzeit die Bombe ticken hört. Es sind messerscharfe Gefechte, die dem Film seine Kraft verleihen, es ist aber auch die Gnadenlosigkeit, mit der Tracy Letts, Autor des zu Grunde liegenden Theaterstücks, ein an sich schützenswertes Gebilde, die Familie, seziert. Daß es da nicht zugeht wie beim Wunschkonzert, dürfte den meisten klar sein, daß aber hier keine mit der anderen redet, Liebe, Glück und selbst Krebserkrankungen verschwiegen werden, letztendlich meist der blöde Zynismus siegt und die Schwestern selbst reüssieren, daß Familie, wie ein Tumor, nicht mehr als eine zufällige Ansammlung von Zellen ist – all das trifft ins Mark. Es sind Grundfeste, die hier von Frustration, Angst und Enttäuschung überschüttet werden: Respekt, Anstand und vielleicht am schlimmsten – Empathie.

Regisseur John Wells kriecht mit dem Leseglas in die charakterlichen Erosionen seiner Figuren, der Film ziseliert dabei doch noch so viel Liebenswertes hervor, daß man durchaus ein Quentchen Zuversicht hegt. Wenigstens für Ivy, die Einzige, die noch zu echter, wenn auch nicht „standesgemäßer“ Liebe fähig ist. Violet wird von Meryl Streep gegeben, wie immer groß aufspielend, in manchem Moment vielleicht auch zu groß, ins Zentrum aber gerät – nicht aus Eitelkeit, sondern aus schauspielerischen und dramaturgischen Gründen – Julia Roberts als älteste Tochter Barbara. Roberts’ nuancenreiches, tief berührendes, zwischen Zorn, Verletzlichkeit und Angriffswut mäanderndes Spiel ist der Glanzpunkt in einem familiären Inferno: So weit ist Barbara in ihrer Härte von der sterbenden Mutter nämlich gar nicht entfernt.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.