Originaltitel: READING LOLITA IN TEHRAN
I/Israel 2025, 108 min
Verleih: Weltkino
Genre: Drama
Darsteller: Golshifteh Farahani, Zar Ami, Mina Kavani, Bahar Beihaghi, Isabella Nefar
Regie: Eran Riklis
Kinostart: 20.11.25
Sie lesen mehr als Vladimir Nabokovs „Lolita.“ Henry James’ „Daisy Miller“ ist dabei, und zur Lektüre von Jane Austen werden sie sogar tanzen. Literaturprofessorin Azar Nafisi hat in ihrer Wohnung sechs Studentinnen zu einem donnerstäglichen Lesekreis geformt. Bei Tee und Gebäck geht es natürlich um die Bücher, sehr speziell aber um das, was sie für die Frauen bedeuten. Um Subtexte. Männer, Sex, das Ich im kleinen und frei zu sein im großen. Bald schleichen sich Fragen über Heimat ein, ob man geht oder bleibt oder sich, ziemlich menschlich, an Zustände gewöhnt. Irgendwann sagen die Frauen: „Wir schlagen zurück!“ Denn draußen vor der Tür fehlen mehr und mehr die Worte oder werden hart und härter bestraft. Die Idee, mit der Seminargruppe „Der große Gatsby“ als Gerichtsverhandlung zu inszenieren, mutet längst an wie ein ferner Traum von Fortschritt. Auch offene Buchläden mit fremdsprachigen Bänden gehören in Teheran zu diesem Traum.
Nafisi war 1979 wie so viele Landsleute in den Iran zurückgekommen, als der Schah nur noch Schatten war, die islamische Revolution obsiegt hatte, Aufbruch die Tagesordnung dominierte. Bis zur erneuten Wende. Hijab-Zwang, Verbote, Sittenpolizei, Verhaftungen, Ermordungen – das Regime zimmert bis heute die Regeln, meißelt sie in Stein und nimmt besonders Frauen und Oppositionelle ins Visier. Schon damals waren selbst Nischen gefährlich, Nafisis Donnerstage sowieso.
Eran Riklis, Schöpfer solch herausragender Dramen wie DIE SYRISCHE BRAUT und LEMON TREE, weicht auch für LOLITA LESEN IN TEHERAN, diesmal basierend auf einer vielgelesenen autobiographischen Buchvorlage, keinen filmischen Zentimeter von seiner Linie ab, politische und soziale Brisanz mit der streng individuellen Art und Weise abzugleichen, dieser Brisanz zu begegnen. So marmorieren die äußeren Zustände im Iran der 80er und 90er eher die Handlung, als daß sie diese bestimmen würden. Auslassung aber, weiß Riklis, wäre fatal. Auch auf Farsi erweist sich der israelische Regisseur, mit einem feinen Ensemble an seiner Seite, weiterhin als ruhender Pol beim Betrachten von Mann und Frau, hier mit der Möglichkeit einer sehr schönen, vielleicht geträumten, von raumgreifender Liebe zur Literatur dominierten Freundschaft und einer Ehe, die von Milde und Aufrichtigkeit geprägt ist. Für Nafisi ein Glücksfall, auch für ihre späteren Entscheidungen.
[ Andreas Körner ]