Originaltitel: EDDINGTON

USA 2025, 145 min
Verleih: Leonine

Genre: Drama, Thriller, Western

Darsteller: Joaquin Phoenix, Pedro Pascal, Emma Stone, Austin Butler

Regie: Ari Aster

Kinostart: 20.11.25

  • Film des Monats

Eddington

Kein Frieden

Die Welt, die Ari Aster zeigt, kennt nur Grausamkeit gegenüber Außenseitern. Und mehr noch: Sie muß ständig neue Außenseiter und Grenzen schaffen, um die Illusionen und Faseleien der eigenen Echokammern aufrechterhalten zu können. Der verwirrte Obdachlose, der am Beginn von EDDINGTON in die titelgebende Kleinstadt in New Mexico stapft, ist nur eines der Feindbilder, die dem Wahn der sogenannten Normalen zum Opfer fallen. Man sieht in dem Mann die personifizierte Existenzangst und Pest auf zwei Beinen, die die Straßen heimsucht.

Aster entführt zurück in das Jahr 2020 und die Verwerfungen der Corona-

Pandemie. Menschen zanken über Social-Distancing-Maßnahmen und Masken. Gegner und Befürworter suchen die Selbstbestätigung. Ein Husten reicht derweil, um das gesamte Umfeld in Alarmbereitschaft zu versetzen. Der Ausnahmezustand bringt das Häßlichste zum Vorschein, und bei jeder Streiterei ist sofort das Smartphone gezückt, um sie im Wirrwarr und diskursiven Rauschen der sozialen Netzwerke ausschlachten zu können.

Nun ist EDDINGTON aber, entgegen einiger Stimmen, die man nach der Premiere in Cannes vernehmen konnte, nur zum Teil ein Corona-Film. Er genügt sich auch nicht darin, einfach eine Triggerwort-Diskussion nach der anderen abzugrasen, wie das gerade im Komödienkino heute oft der Fall ist. Aster geht es zunächst einmal darum, ein generelles soziales Klima zugespitzt auf die Leinwand zu bringen und die Auswüchse unterschiedlicher Formen der Radikalisierung aufzuzeigen. Unter anderem werden dabei auch die Unruhen der Black-Lives-Matter-Bewegung thematisiert.

Gerade die Jugend wird rebellisch und geht auf die Straße. Zwischen kritischem Weiß-Sein und dem Fingerzeig auf das geraubte Land, auf dem man die Zivilisation errichtet hat, knallen bald alle Sicherungen durch. Auch deshalb, weil die Gegenseite nur Resignation, Trotz und Paranoia statt Reflexion als Antworten kennt. „No Peace“ lodert irgendwann als flammender Schriftzug in der Landschaft, und die Gewalt regiert. Aster spielt in seinem satirischen Genre-Hybriden alle Positionen auf dem politischen Spektrum gegeneinander aus. Ihm vorzuwerfen, er würde damit nur Relativierung betreiben oder das Gebrüll der sogenannten Woken mit dem der sogenannten Rechten gleichsetzen, würde zu kurz greifen, um zu beschreiben, was in EDDINGTON eigentlich passiert.

Aster zeigt das Unmöglich-Werden sachlicher Diskussionen als Nährboden, auf dem Politik an sich zur Farce, leeren Geste und Show wird, bei der gekränkte Egos aufeinander losgehen und aus ihren Zwistigkeiten im Kleinen die ganz große Oper stricken wollen. Sie errichten damit ein System des Stillstands, das höchstens noch das Chaos kennt, damit überhaupt mal wieder etwas passiert. Asters Film verwandelt sich derweil im Minutentakt und hangelt sich von einer großartigen Sequenz und einem Genre zum nächsten.

Joaquin Phoenix spielt dabei den Sheriff der Stadt: Joe will nach gerügter Maskenverweigerung als Bürgermeister kandidieren, um seine eigenen Regeln durchzusetzen. Sein Konkurrent, gespielt von Pedro Pascal, erscheint als bigotter Saubermann, der die Gegend für die Zukunft rüsten will. Joes Frau und Schwiegermutter versinken derweil zu Hause im Schwurbler-Sumpf, und der Wahlkampf wird bald mit äußerst dreckigen Mitteln ausgetragen. Was hier geschieht, wurde etwa von dem Attentat auf Charlie Kirk oder Trumps Kampf gegen die Antifa längst eingeholt.

Zugleich erlangt EDDINGTON damit eine verstörende Brisanz und Gegenwärtigkeit, die sich insofern vom reinen Tagesgeschehen abhebt, als sie ganz universelle Dynamiken vorführt, wie politische Narrative inszeniert und mißbraucht werden – vom Sündenbock bis zum Heldenmythos. Vor allem aber ist EDDINGTON ein vielschichtiges Konzentrat der Motive und Stilmittel aus Asters vergangenen Filmen HEREDITARY, MIDSOMMAR und BEAU IS AFRAID. Allein wie er im letzten Akt Elemente des Horrors, des Thrillers und Western verwebt, ist ganz großes Kino. Und mit jedem präzise gesetzten Kameraschwenk wächst die Nervosität.

[ Janick Nolting ]