Originaltitel: ALL THAT’S LEFT OF YOU

D/Jordanien/Zypern/Palästina/Griechenland/Saudi-Arabien/Katar 2025, 145 min
Verleih: X Verleih

Genre: Drama

Darsteller: Cherien Dabis, Saleh Bakri, Adam Bakri, Maria Zreik, Mohammad Bakri

Regie: Cherien Dabis

Kinostart: 20.11.25

Im Schatten des Orangenbaums

Lektion in Liebe

Es ist schon seltsam, diese Zeilen mitten hinein in den Jubel zu schreiben, der die Abkühlung der bislang letzten heiß ausgetragenen Krise zwischen Israelis und Palästinensern begleitet. Doch selbst diesen Jubel durchdringt im angemessenen Rahmen wohl nur derjenige, der in der Region vor über sieben Jahrzehnten gelebt hat oder immer noch lebt. Hüben wie drüben.

Und das Kino von dort oder über dieses Stück Welt? War im Fiktionalen wie Dokumentarischen immer dann am stärksten, wenn es sich dem Reflex verweigert und eigene Tiefe in Themen gefunden hat. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund tat Regisseurin, Autorin und Schauspielerin Cherien Dabis, 1976 in den USA mit palästinensischen Wurzeln geboren, gut daran, ihren Streifen vor dem Dreh und nach dem 7. Oktober 2023 inhaltlich nicht komplett neu zu denken und zu fühlen, ihn nicht angestrengt in einen dann faulen Kompromiß zu führen. Dabis sagt, sie verweigere sich Film als „Reaktion auf Schlagzeilen“, sieht ihn als „Antwort auf menschliche Erfahrung.“ Sie habe aber den Ton von Schlüsselszenen überdacht, mehr Stille und Ambivalenz zugelassen, Raum für Trauer und Schmerz. Das und die Sprachlosigkeit an sich geben IM SCHATTEN DES ORANGENBAUMS seine Kraft. Nicht als Kurs in Politik oder Völkerkunde, sondern als Lektion in Liebe.

Das Werk steht jetzt in der Reihe mit Generationsfilmen. Von 1948 bis 2022 besieht sich Dabis die Familie von Sharif, ein junger Vater, der zum Großvater wird, beginnend in Jaffa, dann im Westjordanland, vom Frieden in den Krieg, von der Freiheit in die Besatzung, vom Verlust in die immerwährende Hoffnung. Dabis setzt, durchaus konventionell, auf starkes Schauspiel, eindrückliche Bilder, den Reigen, das Ringen um Werte für die Heranwachsenden. Sie kreist um das Konstrukt dieser kleinen Menschenzelle, vermeidet exemplarische Massenszenen, zurrt die Handlung mit Sharifs Sohn Salim, dessen Frau Hanan und Sohn Noor fester und behandelt dort ausführlicher die großen Themen, die um Demütigung und Tod keinen Bogen machen können, allerdings das Plakative auszuschalten suchen. Das gilt auch für eine essentielle, hier freilich zu verschweigende (Herz-)Stelle im Drama, die hätte durchaus zum Kipp-Punkt der Glaubwürdigkeit führen können. Doch Dabis beweist ein weiteres, entscheidendes Mal Gespür für den Fokus ihrer Geschichte: palästinensische Sichtbarkeit.

[ Andreas Körner ]